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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Abschiedsgruß mit den Mädchen eine Straße überquert, Ansperger fuhr mit den Buben nach Floridsdorf, dort wurden sie von einem freundlichen älteren Herrn und seiner Frau erwartet. In einer Werkstatt im Hinterhof eines alten, heruntergekommenen Mietshauses bezogen sie auf einem provisorischen Bett aus alten Matratzen und Decken ihr Lager für die Nacht und am Morgen sollten sie früh aufstehen, um die Reise bis an die tschechische Grenze fortzusetzen. Von dort aus würden sie über die Felder und Wiesen nach Znaim wandern, ein paar Stunden würde der Marsch dauern, sie sollten jetzt schlafen. Ansperger sah Max und Edgar streng an, weil beide noch miteinander tuschelten und Edgar Max beschuldigte, ihm das Taschenmesser aus seinem Rucksack genommen zu haben, was dieser vehement abstritt. Jeder der Buben hatte vom Großvater ein Messer geschenkt bekommen, deren Griffe mit Hirschhorn belegt waren, und am hinteren Ende hatte er in schwungvollen Lettern ihre Initialen eingraviert. Als sie unter dem Kopfkissen von Max endlich fündig wurden, kehrte Ruhe ein und innerhalb kürzester Zeit schliefen alle.
    Auf dem Weg nach Znaim begannen Maxens Füße zu schmerzen. Die Schuhe, die er vom Koglerbauern geschenkt bekommen hatte, waren zu groß. Dessen Sohn war zu schnell aus ihnen herausgewachsen, die Schuhe waren fast nicht getragen, gute Schusterarbeit aus starkem Pferdeleder. Die braunen Wollsocken hatten Maxens Fersen nach dem langen Wandern durch die Felder blutig gescheuert, der Rucksack drückte auf den Schultern, die Haut über den Schlüsselbeinen war wund. Vor der kleinen Gruppe, an deren Spitze Ansperger mit großen Schritten das Tempo angab, streckten sich die Äcker und Wiesen im Dunst des Abends, hinter ihr lagen die von den letzten Sonnenstrahlen beschienenen Weinreben an sanft ansteigenden Hängen. Bevor sie dort die Grenze zur Tschechoslowakei überschritten hatten, mahnte der örtliche Schmuggler, der sie seit einem Halt in einem Gasthaus begleitete, sie sollten geduckt durch die Spaliere der Reben weitergehen, am Ende des Weingartens dann nach der Abzweigung nach rechts und immer weiter geradeaus, sie würden bis zu den ersten Häusern auf tschechischer Seite zwei Stunden benötigen, wenn sie zügig marschierten. Die Trauben, die Max von den Stöcken gepflückt hatte, waren sauer gewesen, er hatte sie hinuntergewürgt, obwohl die letzte Mahlzeit im Keller des Gasthauses vor der Grenze erst eine Stunde zurücklag und er noch keinen Hunger hatte. Die Mädchen hatte man bis zum nächsten Transport in Wien einquartiert, jetzt waren nur die Buben übrig, Edgar, Max, die Brucker und die Eisenerzer, die zwei Kleinsten und Ängstlichen, die sich meist hinter Herrn Ansperger versteckten, auch wenn sie sich zu Anfang vor seinem Blick gefürchtet hatten, der durch ein Glasauge, das sich vom anderen in seiner Helligkeit unterschied, manchmal unlesbar schien. Auf dem weiteren Weg hatte Max irgendwann angefangen, nicht mehr an seine Fersen zu denken. Er schleppte sich im Trott der Schritte des Lehrers fort, der vor ihm ging, und im hohen Gras, das Max fast bis zu den Schultern reichte, setzte er einen Fuß vor den anderen. Manchmal schlug ihm ein abgeknickter Halm ins Gesicht und langsam begann sich ein sanftes Abendlicht über die wandernde Gruppe zu legen. Der Schmuggler hatte versichert, wenn sie die Grenze erreicht hätten, würde ihnen niemand mehr etwas tun, selbst wenn die Gendarmerie sie aufgreifen würde. Max fühlte sich mitten in der stumm marschierenden Gruppe allein und er dachte an seine Mutter, die ihm erzählt hatte, dass es in der Sowjetunion genügend zu Essen geben würde. Sie wanderten über Wiesen, durch kleine Wälder und an einem Bach entlang, der sie mit seinem Gemurmel einhüllte. Jeder von ihnen schien in Gedanken versunken. Als die Gruppe lange Zeit so dahingetrottet war, stieß sie auf eine geschotterte Straße, die links und rechts von Wassergräben begleitet wurde. Weiter vorne sahen sie in der Dämmerung das dunkle Dach einer Scheune, dahinter einen Kirchturm. Ihre Schritte wurden schneller, kurz bevor sie die Ortschaft erreichten, hielt sie der Lehrer an und richtete jedem von ihnen den Rucksack und die Jacke und versuchte die zerzausten Haare der Buben mit den Fingern zu glätten. Ansperger klopfte, nachdem er die Hausnummer kontrolliert hatte, an das zweite Haus in der Straße, in die sie nach der Scheune eingebogen waren, und wartete darauf, was geschehen würde.
    Zwei Tage später

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