Der Sonntagsmann
er wusste, dass sie tot war. Das müsste meines Erachtens für einen Haftbefehl ausreichen. Was sagt er selbst dazu?«
»Das habe ich noch nicht zur Sprache gebracht. Ich wollte das für später aufheben.«
»Fühlen Sie ihm hinsichtlich der eingestellten Zahlungen auf den Zahn. Anschließend fasse ich den Beschluss, ob gegen ihn ein Haftbefehl ergehen soll.«
Ulf Nyman war vollkommen verändert. Seine Gesichtszüge waren kraftlos, sein Blick war stumpf. Er antwortete knapp, oft einsilbig, auf die Fragen. Aber er gab nicht nach: Er hatte nichts mit dem Mord zu tun. Elina versuchte, irgendwo einen Schwachpunkt seiner Geschichte zu entdecken. Sie zwang ihn, von den Treffen mit Ylva zu erzählen, von ihrem Beischlaf, ihren Begegnungen in der Schule, dem Streit über die Abtreibung, dem Grund ihres Umzugs und ihren Diskussionen. Zum Schluss holte sie zum letzten Schlag aus.
»Sie haben gesagt, Sie hätten nichts von ihrem Tod gewusst, ehe davon die Rede gewesen sei. Wer hat davon erzählt?«
»Ein Lehrerkollege. Glaube ich. Ich erinnere mich nicht mehr, wer es war.«
»Sie erinnern sich nicht? Ihre ehemalige Geliebte war tot, ermordet. Ihr Kind war verschwunden. Sie riskierten, verdächtigt zu werden, und Sie wollen sich nicht erinnern, wer Ihnen davon erzählt hat?«
»Ich vermute, dass ich zu schockiert war.«
»Nun gut. Wann genau war das?«
»Direkt nachdem sie aufgefunden worden war. War das im April?«
»Im Mai.«
Elina zog ein Papier aus ihrer Mappe. Sie legte es vor Nyman hin. »Lesen Sie das hier«, sagte sie.
Ulf Nyman setzte seine Brille auf.
»Was ist das?«, fragte er.
»Das ist eine Liste der Postsendungen, die Ylva Malmberg nach ihrem Tod erhalten hat. Die Sendungen lagen noch auf der Post in Arjeplog, als die Polizei mit der Ermittlung begann. Es handelt sich um die Post von sieben oder acht Monaten. Fällt Ihnen an dieser Liste etwas auf?«
Ulf Nyman blickte erstaunt auf. »Ich verstehe nicht. Was soll ich da sehen?«
»Kein Brief von Ihnen.« Sie hielt ihm eine Kopie des Briefes hin, den er an Ylva geschickt hatte. »Dieser Brief ist am 15. September abgestempelt. Sie ist Anfang Oktober gestorben. Sie haben gerade behauptet, von ihrem Tod erst im Mai erfahren zu haben, also fast acht Monate später. Wie kommt es also, dass Sie kein Geld mehr geschickt haben?«
Ulf Nyman fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Langsam wurde ihm klar, was das zu bedeuten hatte. Der Anwalt räusperte sich, aber Elina hob warnend die Hand.
»Ich … ich …«, stotterte Nyman.
»Ja? Erklären Sie mir das.«
»Ich habe ihr Geld geschickt! Jeden zweiten Monat!«
»Ich weiß, dass Sie es mit dem Unterhalt sehr genau nehmen. Grace Makondele hat mir das bestätigt. Jeden zweiten Monat, sagen Sie. Wo sind dann die Zahlungen für November, Januar, März und vielleicht sogar auch für Mai geblieben?«
Er starrte auf das Papier. Ruckartig hob er den Kopf und richtete seinen Blick auf Elina.
»Sie ist umgezogen!«
»Umgezogen? Als sie tot war?«
Elina lehnte sich vor und verschränkte die Arme auf dem Tisch. Sie versuchte, nicht belustigt zu wirken. Die Sache war zu ernst.
»Ich wusste doch nicht, dass sie tot war! Ich habe den ganzen Winter und das Frühjahr über noch Geld geschickt.«
»Herr Nyman«, sagte Elina. »Tote ziehen nicht um.«
»Aber sie tat es. Das ist die Wahrheit! Sie ist im Herbst umgezogen. Bevor sie ermordet wurde.«
Elina runzelte die Stirn. Die Erklärung klang vollkommen absurd. Wieso beharrte er auf so einem Schwachsinn?
»Herr Nyman«, wiederholte sie. »Sie ließ sich die Post ein ganzes Jahr lang aus der Sandgärdsgatan nachschicken. Wenn sie von Jäkkvik hätte wegziehen wollen, dann hätte sie das der Post in Västerås mitgeteilt und nicht Ihnen.«
»Aber so war es. Ich habe einen Brief bekommen.«
»Haben Sie den noch?«
»Natürlich nicht.«
Plötzlich kam etwas Leben in seine Augen, seine Glieder schienen wieder zu erwachen.
»Aber ich habe sie ja noch!«, rief er so laut, dass Elina zusammenzuckte. »Die Adresse! Ich sehe sie manchmal! Ich habe sie in mein Adressbuch geschrieben. Ohne Ylvas Namen oder eine weitere Erklärung natürlich. Ich benutze seit Anfang der Siebzigerjahre dasselbe Adressbuch. Darin stehen Hunderte von Telefonnummern und Adressen auf der ganzen Welt. Es wäre zu aufwändig gewesen, alles nochmals abzuschreiben.«
Elina schüttelte den Kopf. Das konnte nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein. Sie stellte das Tonband ab und
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