Der Sonntagsmann
entweder erlauben, dass du dich um diesen hoffnungslosen alten Fall kümmerst, oder den Reichspolizeichef bitten, mich am Arsch zu lecken.«
Elina setzte eine verärgerte Miene auf. »Und was soll dann aus dieser Sache werden?«, fragte sie und hielt ihm das Betrugsdelikt unter die Nase.
Jönsson hob erneut seinen Zeigefinger. Dieses Mal deutete er zur Tür.
Sie schloss die Tür leise hinter sich. Dann ging sie zu John Rosén und erzählte ihm, was vorgefallen war. Rosén seufzte.
»Du hast mir offensichtlich das letzte Mal nicht zugehört«, sagte er.
»Doch«, erwiderte Elina. »Aber ich finde, das hier ist wichtiger. Zumindest meiner Einschätzung nach. So einfach ist das.«
»Jönsson wird seine Geschütze nicht abziehen«, meinte er. »Du wirst in nächster Zeit oft in Deckung gehen müssen.«
»Das wird ihm sicher schnell verleidet sein, wenn er mich nie erwischt.«
»Er wird dich erwischen. Glaub mir. Früher oder später. Dass er nicht sofort etwas unternimmt, liegt nur daran, dass er sich nie mit seinen Vorgesetzten anlegt. Aber wenn sie gerade nicht hinschauen, wird er sofort eine Attacke starten. Gegen dich.«
Elina schüttelte sich, als wollte sie Roséns Warnungen abgleiten lassen.
»Schlimmer wäre, wenn andere glauben, dass ich mich aus der Affäre ziehe. Das muss ich in Kauf nehmen. Kannst du mir bei einer Sache helfen, John?«
»Jönsson wird es nicht zulassen, dass ich auch noch in diese Sache hineingezogen werde. Das muss dir doch klar sein.«
»Ich will doch nur, dass du mir einen Staatsanwalt besorgst. Sozusagen in Bereitschaft für das Ermittlungsverfahren, falls ich einen Verdächtigen auftreibe. Dann kann es wirklich eilig werden, und ich will nicht irgendwo in dem überlasteten Bereitschaftssystem hängenbleiben. Kannst du nicht jemanden finden, der bis zum 1. Oktober keinen Urlaub nimmt? Das ist der Tag, an dem die Sache verjährt.«
Rosén nickte. Er wirkte resigniert.
»Und dann würde ich den Fall gern mit dir diskutieren. Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann.«
»Das kann ich mir denken«, erwiderte er und sah noch resignierter aus.
»Danke«, meinte sie fröhlich und schaute auf die Datumsanzeige ihrer Armbanduhr. »Es bleiben mir nur noch drei Wochen. Ich muss anfangen. Das ist nicht mehr viel Zeit.«
Zu allererst rief sie von ihrem Büro aus Roger Malmberg an, um einen Termin zu vereinbaren. Er könne sich von der Arbeit freinehmen, falls das nötig sei. Sie einigten sich auf neun Uhr morgens am nächsten Tag.
Dann nahm sie sämtliche Vernehmungsprotokolle aus der Akte. Sie wollte sie in zweifacher Hinsicht lesen: Einmal, um die Personen herauszufiltern, die für neue Vernehmungen wichtig waren, zum anderen, um den ganzen Fall in einem möglichst neuen Licht zu sehen, und alle Namen einer erneuten Beurteilung zu unterziehen. Welche Person oder Personen kam oder kamen als Vater/Mörder in Betracht? Gab es jemanden, der wissen konnte, wer der Vater war, aber einen Grund gehabt hatte zu schweigen? Wer verbarg sich hinter dem Buchstaben N?
Sie beschloss, die Protokolle in verschiedene Stapel eingeteilt zu lesen. Die Reisegefährten nach Indien getrennt von den Mitgliedern der Kommune, die Verwandten separat und die Lehrer ebenfalls. Sie sortierte, bis sie schließlich neun Stapel vor sich liegen hatte.
Sie unterbrach die Lektüre nur, um in der Datenbank nachzusehen, ob eine Person immer noch lebte und wo sie wohnte. Fast alle Personen, die zu dem Mordfall befragt worden waren, schienen noch am Leben zu sein. Alle, die Ylva 1979 gekannt hatten, waren damals zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahre alt gewesen. Folglich waren sie jetzt zwischen fünfundvierzig und sechzig. Nur wenige Lehrer der Tärna Folkhögskola mussten inzwischen über sechzig sein.
Stück für Stück kreiste Elina diejenigen ein, die sie anrufen wollte. Ylva hatte mit einem der Männer aus der Kommune ein längeres Verhältnis gehabt. Der Mann war sieben Jahre älter als Ylva gewesen und hieß Bernt Högstedt. Sie waren fast drei Jahre lang zusammen gewesen. Er müsste einen recht guten Einblick in Ylvas Verhältnis zu Männern haben, dachte Elina. Sie entschloss sich, zuerst mit einer der Frauen aus der Kommune zu sprechen, mit Tina Möller, die immer noch in Uppsala wohnte.
Die Situation schien sich wiederholt zu haben, als Ylva nach Indien gefahren war. Sie war mit einem der Männer zusammen gewesen. Elina beschloss, mit dem anderen Mann aus der Reisegruppe Kontakt aufzunehmen,
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