Der Sonntagsmann
das Gefühl, für sein Wohlergehen verantwortlich zu sein, fast wie bei einem Mutterinstinkt. Sie wusste, dass er nie richtig mit ihr mithalten konnte. Er war einige Jahre jünger als sie und immer noch Kriminalassistent, während sie rasch Inspektorin geworden war. Geschickt, aber eben doch nicht so geschickt wie sie. Immer wenn sie zusammenarbeiteten, akzeptierte er ohne Einwände ihre Vorschläge, wenn sie besser waren als seine eigenen. Außerdem brachte er öfter seine Bewunderung für ihre Fähigkeit, Lösungen zu finden, zum Ausdruck. Er war ein guter Kamerad in dieser Männerwelt.
Beruflich hinkte er ihr hinterher, privat hatte er ihr jedoch einiges voraus. Er wohnte mit Minette zusammen und sie hatten ein Kind, einen Sohn. Elina hatte ihn abends, wenn es Zeit war, nach Hause zu gehen, oft darum beneidet.
»Deine Mordverdächtigen sind recht gesetzestreu«, meinte Svalberg und sah Elina an. Er zog die Brauen hoch, als er bemerkte, dass ihr Blick bereits auf ihm ruhte, sagte aber nichts.
»Ich komme nur auf vierzehn verschiedene Delikte«, fuhr er fort, »verteilt auf drei Personen. Und einer von ihnen hat zwölf davon verübt. Es handelt sich um Drogendelikte und Beschaffungskriminalität. Die anderen beiden haben nur gegen Verkehrsregeln verstoßen.«
»Lehrer an Volkshochschulen und Studenten, die sich für Dritte-Welt-Länder interessieren, gehören auch nicht gerade zu unseren Stammkunden«, meinte Elina. »Meine Ausbeute ist noch miserabler, nur ein einziges Delikt. Einschüchterung von Zeugen. Einer der Mitschüler hat seine Exfrau im Zusammenhang mit einem Sorgerechtsprozess bedroht. Das war vor zwölf Jahren.«
»Das könnte etwas sein. Was glaubst du?«
Elina war sich unschlüssig. »Nicht gerade die brandheiße Spur. Aber vielleicht sollte ich ihn mir mal genauer ansehen«
»Was machen wir jetzt?«
»Ich habe das Landesarchiv in Härnösand darum gebeten, mir die verschiedenen Adressen der letzten fünfundzwanzig Jahre herauszusuchen. Dann muss ich bei sämtlichen Polizeibezirken anrufen, in denen einer von ihnen mal gewohnt hat, und irgendeinen netten Kollegen darum bitten, im Archiv zu wühlen.«
»Soll ich dir dabei helfen?«
»Ja bitte.«
Die Informationen des Landesarchivs landeten mit einem Klingeling Donnerstagmorgen kurz nach neun in Elinas Mailbox. Sie schickte zwar keine Blumen, bedankte sich aber überschwänglich per Mail bei der Frau, die sich die ganze Arbeit gemacht hatte. Allein die Auflistung musste sie Stunden gekostet haben. Seufzend stellte Elina fest, dass die vierunddreißig Männer zusammengenommen an dreiundzwanzig verschiedenen Orten im Land gewohnt hatten. Das bedeutete dreiundzwanzig verschiedene Polizeibezirke … und wahrscheinlich unzählige Anrufe, um dort überall jemanden ausfindig zu machen, der sich bereit erklärte, ihr zu helfen. Sie bat Henrik Svalberg, bei ihr vorbeizuschauen. Er war gerade von der Acht-Uhr-Besprechung zurückgekommen, die Elina inzwischen regelmäßig ausfallen ließ. Sie teilten sich die Arbeit: elf Polizeibezirke für Svalberg und zwölf für Elina.
Sechs Stunden später hatten sie sämtliche Anrufe erledigt.
»Jetzt können wir nur abwarten«, meinte Elina. »Ich kümmere mich einstweilen um meine eigenen Fälle«, erwiderte Svalberg und wollte aufstehen.
In diesem Augenblick klopfte es an Elinas Tür. »Herein«, rief sie.
»Gut«, sagte Egon Jönsson, als er eintrat. »Gut, dass du hier bist, Henrik. Ich will mit euch beiden sprechen.«
Elina sah Jönsson schweigend an. Er schloss die Tür. »Gehe ich recht in der Annahme, dass du meine Arbeit übernommen hast?«, fragte er an Elina gewandt.
»Wie meinst du das?«
»Du verteilst die Arbeit. Offenbar befolgt Svalberg neuerdings deine Anweisungen.«
»Ich habe ihn gestern nur um Hilfe gebeten. Und heute.«
»Und du findest nicht, dass der Dezernatschef, also ich, entscheiden soll, wie das Personal am besten eingesetzt wird?«
Sein Ton war giftiger als das Sekret einer Kreuzotter.
»Ich habe ihn einfach um Hilfe gebeten, das machen wir oft unter Kollegen.«
Elina versuchte gar nicht erst, sich zu verteidigen. Sie sah Jönsson direkt in die Augen, ohne zu blinzeln oder mit dem Blick auszuweichen. Sein Tonfall hatte in ihr die Streitlust geweckt. Jetzt habe ich mir das lange genug angehört, dachte sie. Wirklich lange genug.
»Svalberg erhält seine Aufgaben nicht zum Spaß«, sagte Jönsson, der ihrem Blick nicht standhielt. »Es gibt hier eine
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