Der Spezialist: Thriller
etwas noch Schlimmeres zugestoßen,und alles nur Ihretwegen – aber Ihnen ist es scheißegal.« Erst jetzt bemerkte er die Sporttasche, die Hall in der Hand hielt. »Sie haben Ihren de Kooning?«
Hall nickte.
»Warum sind Sie dann noch hier?«
Ein Blick auf Hall und ein weiterer Blick auf Geiger gaben Harry die Antwort.
»Setzen Sie sich auf die Couch, Harry«, sagte Hall.
»Leck mich.« Harry legte seine ganze Verachtung in seine Stimme.
Hall zielte genauer auf ihn. »Harry, ich sage es Ihnen nur noch einmal …«
»Mal angenommen, ich greife Sie an«, sagte Harry. »Sie wissen schon … so, dass ich Ihnen Ihr schwarzes Herz rausreißen kann. Würden Sie auf mich schießen, Hall?«
»Setzen Sie sich, verdammt!«
Harry schaute rasch aus den Fenstern nach vorn: nichts. »Und was, wenn Geiger sich auf Sie stürzt, während Sie auf mich schießen? Dann müsste einer von Ihnen auch Geiger erschießen, nicht wahr? Und dann ist da noch der Junge …«
Halls Gesicht erstarrte zu Stein.
»Ach ja, und vergessen wir Matheson nicht«, sagte Harry. »Das macht schon vier Personen. Sie können ihn nicht herumlaufen lassen, damit er Ihnen das Leben zur Hölle macht, oder? Also, wie sieht es aus, Hall? Wann wird es schwierig, Menschen zu ermorden? Wenn man zehn töten muss? Zwanzig?«
Harry schaute wieder aus dem Fenster, und diesmal fiel sein Blick auf etwas, auf das er gehofft hatte. Erleichterung überkam ihn.
»Wissen Sie was, Hall? Vergessen Sie’s. Zerbrechen Sie sich deswegen nicht länger den Kopf.« Harry zeigte auf das Fenster. »Machen Sie sich lieber wegen denen da Gedanken.«
Hall schwenkte herum und sah nach draußen. Weit entfernt bogen zwei Scheinwerferpaare in die lange Zufahrt ein.
Harry zuckte mit den Schultern. »Ich hatte mich dazu durchgerungen, die Bullen zu rufen, damit sie bei der Suche nach Lily helfen.«
»Du Scheißkerl …«, sagte Mitch und sprang von der Couch auf. Die Pistole auf Geiger gerichtet, ging er zum Fenster. In diesem Moment stürzte Harry sich auf ihn, die Schultern gesenkt, die Arme ausgestreckt. Mitchs Waffe fuhr herum, aber Harry rammte ihn in Brusthöhe und schlang die Arme um ihn. Sein Schwung beförderte sie beide durch die Scheibe. In einem Scherbenregen landeten sie krachend auf der Veranda, wo sie unbeholfen einen Twostepp tanzten, bis sie rückwärts gegen das Geländer prallten. Es zerbarst, und beide stürzten und verschwanden außer Sicht.
Halls Blick folgte den beiden Männern eine halbe Sekunde zu lang. Geiger nutzte die Chance, auch wenn seine Verletzungen ihn behinderten und seine Bewegungen ungelenk waren. Mit einer Hand griff er nach Halls Pistolenhand, mit der anderen nach der Luftröhre des Mannes. Hall wehrte sich verbissen, und es kam zu einem wilden Gerangel. Einige Augenblicke lang schien Hall den Vorteil von Gleichgewicht und Körperkraft zu besitzen, doch Geiger versetzte ihm einen Kopfstoß, und sie stürzten zu Boden. Halls Pistole schlitterte über die Bohlen und wurde von der Schwelle der Vordertür gestoppt. Die Sporttasche fiel auf den staubigen Wohnzimmerteppich.
Geiger blickte zur Couch. »Ezra – lauf weg!«
Der Junge machte zwei Schritte zur Tür; dann scherte er nach rechts aus, packte die Tasche, flitzte um die beiden am Boden liegenden Männer herum nach draußen und verschwand.
Geiger war zu schwach, um Hall zu bezwingen, und wurde immer mehr in die Defensive gedrängt. Dann fand Hall mit einer Hand Geigers verletzten Oberschenkel und drückte die Finger tief in die Wunden. Geiger heulte auf, als der Schmerz ihn durchraste, und sein Griff um den Gegner lockerte sich.
Hall riss sich los, sprang auf, packte die Pistole und drehtesich zu Geiger um, der auf dem Rücken lag, Arme und Beine von sich gestreckt. Hall hob die Waffe. Geiger wartete auf den Tod, sah dann aber, wie Hall innehielt: Er konnte nicht riskieren zu schießen, solange die Polizei in der Nähe war.
Hall schob die Waffe in den Gürtel und trat gegen Geigers verletztes Bein.
»Unten bleiben!«, zischte er und verschwand außer Sicht.
Geiger lag erschöpft und reglos da. Sein Atem ging schwer, und sein Blut sickerte in den Teppich, als ihn mit einem Mal die Musik überflutete – chaotische, diskordante Klänge von Blechbläsern und Streichern, scharf und bitter schmeckend, zugleich chromatisch und erhebend. Sein Geist fand Halt an der Musik; sie half ihm, den Schmerz zu bezwingen.
Langsam erhob er sich, erst auf die Knie, dann ganz. Schwerfällig
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