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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: balzon
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glühen begannen.
    Überrumpelt von ihrem scharfen Befehl legte Enhö r ning die Ohren an und verwandelte sich in einen Pfeil. In weniger als zehn Atemzügen hatte sie Henri eingeholt. Ihre Blicke trafen sich. Nase an Nase preschten die Pfe r de in gestrecktem Galopp durch den Schnee. Hinter i h nen gellten warnende Rufe, aber Elin und Henri hatten längst den Pakt geschlossen. Schulter an Schulter ritten sie ein halsbrecherisches Rennen. Nur aus den Auge n winkeln erkannte Elin das Flattern eines Rebhuhns. Ihr Hengst brach so abrupt aus, dass die Zügel schmerzhaft durch ihre Hände ruckten. Das Pferd entglitt ihr wie ein glitschiges Seil.
    Einige Sekunden lang hatte sie das Gefühl, dass sie von einem unendlich hohen Turm fallen würde, dann stürmte der Hengst wieder los. Henri verging das siege s gewisse Grinsen, als er das Streitross, das er eben übe r holt hatte, wieder herandonnern sah. Mit vorgestrecktem Kopf raste Enhörning an dem Schimmel vorbei und riss mit einer beiläufigen Kopfbewegung Elin die Zügel aus der Hand. Sie klammerte sich an der Mähne fest.
    »Hol den Zügel!«, rief ihr Henri zu. »Der Zügel, rechts! Er hat sich am Steigbügel verfangen!« Längst konnte Elin nichts mehr sehen. Mühsam ertastete sie den Zügel und nahm ihn auf. Auf einmal bockte Enhörning mitten im Lauf. Ein Schlag warf Elin zur Seite – dann dehnte sich die Zeit zur Ewigkeit. Als stünde sie neben sich, sah sie sich aus dem Sattel fliegen. Ein peitschender Schweif streifte ihre Stirn. Dann zuckte nur noch Schmerz durch die Dunkelheit.
     
    »Mademoiselle? Mademoiselle!« Die bange, bebende Stimme kam aus weiter Ferne. War sie in der Bibliothek? Nein, an ihrer Lippe klebte bitterer Schnee. Benommen blinzelte sie und blickte – in ein verängstigtes Gesicht. Der junge Mann hatte eine fein geformte Nase und eine schön geschwungene Oberlippe. Sein eisiger Atem ze r schellte an ihrer Wange. »Das wollte ich nicht!«, flüsterte er ihr zu. »Es tut mir so Leid!« Unendlich behutsam strich ihr eine sanfte Hand über die Wange – eine Berü h rung, die sie lächeln ließ. Erleichterung erhellte das G e sicht. Erst jetzt fiel Elin wieder ein, woher sie den Jungen kannte. Es war Henri. Seltsamerweise fiel ihr kein schnippischer Satz ein – und auch die Wut war ve r schwunden. Henris Reittier stand nicht weit von ihr, der Zügel schleifte im Schnee. Enhörning war fort.
    »Es … geht schon«, erwiderte sie. Das war gelogen. Ihr linker Arm fühlte sich seltsam taub an. Hufschlag ertönte, dann entsetzte Schreie. Die Schnauze eines Jagdhunds fuhr ihr über die rechte Hand. Sie blinzelte und ließ es zu, dass ihr für einige Sekunden die Wir k lichkeit entglitt. Von fern hörte sie scharfe Streitworte, die sie nicht verstand. Als sie wieder mühsam in die Welt des Schnees zurückfand, stellte sie verwundert fest, dass es der alte Vaincourt und Henri waren, die sich gerade stritten.
    »Lassen Sie mich in Ruhe, Vater! Gehen Sie zur Se i te! Sie sehen doch, dass ich ihr helfen muss!« Mit einer B e hutsamkeit, die Elin ihm nie zugetraut hätte, legte Henri den Arm um sie und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Sie wollte protestieren, stattdessen rutschte ihr Kopf kraftlos zur Seite. Die Brokatborte kratzte an ihrer Braue. Ein vergoldeter Knopf klickte gegen ihren Ec k zahn. Plötzlich hielt Henri abrupt in der Bewegung inne. An ihrer Wange spürte sie, wie schnell sein Herz schlug.
    »Was … ist?«, flüsterte sie. Langsam zog er die Hand unter ihrer Schulter hervor. Blut bedeckte seine Finger. Ein roter, glänzender Handschuh – nur der kleine Finger war nicht in Elins Blut getaucht. Schlagartig wurde ihr übel. Sie musste den Kopf abwenden. Doch das, was sie stattdessen sah, war noch viel schlimmer: Im Schnee lag der zerbrochene Pfeil einer Armbrust. Rasch blickte sie weg – und fand Henris Augen. In diesem Moment, der eine Ewigkeit dauerte, machte die Angst sie beide völlig gleich. Sie waren nicht mehr Graf und Scheuermagd, sondern nur Henri und Elin. Doch dann kam der Schmerz und Elin stöhnte auf. Henri schrie nach den Gardisten und zerrte sich den Mantel von den Schultern. Mit fli n ken Händen ballte er den Stoff zu einem Bündel und drückte ihn gegen die Wunde. »Haben Sie keine Angst, Mademoiselle.« Trotz der tödlichen Kälte, die sich von der Wunde her ausbreitete, klammerte sie sich an der Wirklichkeit fest und ver s uchte, nicht wieder das B e wusstsein zu verlieren. Ein Gardist beugte sich über

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