Der Spion und die Lady
seufzte tief auf. Da hätte sie sich auch gleich ein Schild um den Hals hängen können. Ihren sehr, sehr nackten Hals…
»Sie sollten vielleicht Ihre Perlen anstelle der Kamee umlegen«, sagte Sally, die offenbar auch Gedanken lesen konnte. »Damit fühlen Sie sich bestimmt weniger entblößt.«
Die dreireihige Perlenkette verdeckte die enorme Fläche nackter Haut zwar ein wenig, dennoch kam sich Desdemona noch immer vor wie in einem dieser scheußlichen Alpträume, in denen man nur mit einem Nachthemd bekleidet den Augen der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Wieder starrte sie sich entsetzt an. Ein Nachthemd wäre nicht halb so entblößend. »Ich sehe aus wie eine Dirne.«
»Aber wie eine von der teuersten Sorte, Mylady«, sagte Sally mit einem höchst ungezogenen Lächeln.
Desdemona mußte lachen, »Ich benehme mich ausgesprochen absurd, oder?« Wieder wandte sie sich dem Spiegel zu und versuchte, sich objektiv zu betrachten. Das rötliche Braun des Kleides war ein Farbton, der nicht vielen Frauen stand, aber Desdemona mußte zugeben, daß er zu ihren tizianroten Haaren und ihrem blassen Teint ausgezeichnet paßte.
Sally hatte die Haare ihrer Herrin zu einer raffinierten Komposition aus Wellen und Locken frisiert und mit einer feinen Goldkette durchwoben. Es war ihr sogar gelungen, Desdemona zur sparsamen Anwendung von ein paar Kosmetika zu überreden. Hätte das Spiegelbild vor ihr einer Fremden gehört, wäre Desdemona zu der Feststellung gekommen, daß die Frau verwegen und nicht unattraktiv war. Auf eine amazonenhafte Art.
Der Türklopfer schallte durchs ganze Haus. Der Marquis war da. Resigniert straffte Desdemona die Schultern und richtete sich zu voller Größe auf. Unglücklicherweise betonte diese Aktion den Teil ihrer Anatomie, der bereits prominent genug war. Aber ihre einzige Chance, diesen Abend zu überstehen, bestand in der Vortäuschung, daß sie mit ihrer Erscheinung zufrieden war.
Giles wartete am Fuß der Treppe auf sie. Als Desdemona die Stufen hinunterschritt, starrte er ihr ebenso verblüfft wie stumm entgegen.
Erneut unsicher, hielt sie inne und umklammerte das Geländer. Sie war eine als junges Huhn herausgeputzte alte Gans und machte sich absolut zum Narren. Ihre Hände griffen nach dem um ihre Schultern liegenden Schal und wollten ihn fest um den Hals ziehen.
Mit zwei Sätzen überwand der Marquis den Abstand zwischen ihnen, fing eine ihrer Hände ein und bewahrte sie so davor, ihre Verhüllungsaktion zu beenden. »Verzeih mir meine Verblüffung, Desdemona. Ich wußte, wie hübsch du bist, aber heute raubst du mir buchstäblich den Atem.« Er hob ihre Hand an die Lippen und küßte sie.
Desdemona atmete die Luft aus, von der sie gar nicht wußte, daß sie sie angehalten hatte. An Giles’ aufrichtiger Bewunderung konnte kein Zweifel bestehen. Aber noch besser war, daß sie sich durch die Zärtlichkeit in seinen Augen keine Spur belästigt fühlte. Sie fühlte sich… durchaus zufrieden mit sich selbst.
Sie lächelte den Marquis an und nahm seinen Arm. »Wollen wir gehen?« Es versprach, ein sehr angenehmer Abend zu werden.
Als Maxie und Robin die Treppe hinabgingen, waren bereits die ersten Gäste eingetroffen. An der Tür des kleinen Salons kam ihnen Margot entgegen. Drinnen unterhielten sich sechs oder acht Leute mit der lockeren Zuneigung alter Freunde.
»Sie sehen bezaubernd, Maxie«, sagte sie nach einem kurzen Lächeln auf Robin. »Gott sei Dank bevorzugt Rafe Blondinen. Ich möchte Sie den anderen Gästen vorstellen.« Leider fügte sie hinzu: »Nur Mut! Die meisten Menschen in diesem Raum haben eine ähnlich ungewöhnliche Vergangenheit wie Sie.«
Bevor sie noch einen Schritt tun konnten, kamen ein hochgewachsener blonder Mann und eine schlanke, auf unauffällige Weise schöne Frau mit braunen Haaren auf sie zu. Der Mann streckte die Hände aus und sagte mit einem breiten Lächeln:
»Es tut mir leid, Robin, daß wir uns heute nachmittag in Whitehall verpaßt haben.« Als sie einander die Hände schüttelten, musterte der Mann Robin nachdenklich. »Du siehst sehr viel besser als das letztemal in Paris.«
Lächelnd zog Robin Maxie an seine Seite.
»Maxima, ich möchte dir Lucien Fairchild, den Earl of Strathmore, vorstellen. Lucien, das ist Miss Maxima Collins. Die Lady ist vermutlich deine Frau, Lucien, der ich bedauerlicherweise noch nicht begegnet bin.«
»Stimmt«, lächelte die junge Frau. »Ich bin Kit Fairchild. Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen,
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