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Der Spion und die Lady

Der Spion und die Lady

Titel: Der Spion und die Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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zupackenden Hände und wirkte eigentümlich verletzlich. Hinter der Gartenmauer rumpelte eine Kutsche über das Kopfsteinpflaster von Mayfair.
    Nach einer langen Pause sagte er mit einer Stimme, die kaum zu verstehen war: »Es hört sich sicher ungemein kindisch an, aber ich wünsche mir, daß… daß ich dir etwas bedeute. Du bist die einzige Familie, die mir geblieben ist. Ich habe mich bemüht, dir ein guter Bruder zu sein, aber weil du schon immer deinen Kopf ohne Rücksicht auf die Kosten durchgesetzt hast, konnte ich dir nie wirklich helfen. Nicht Vater gegenüber, nicht auf der Schule und mit Sicherheit nicht, als du dich in einem absurd jungen Alter zur Spionage entschieden hast, dem gefährlichsten Gewerbe der Welt.«
    Robin runzelte die Stirn. »Selbstverständlich bedeutest du mir etwas, sehr viel sogar. Wieso kannst du daran zweifeln? Du erinnerst dich doch bestimmt noch daran, daß ich dir überallhin gefolgt bin, sobald du aus der Schule kamst. Du warst so unglaublich geduldig. Ich wünschte mir unendlich, so wie du zu sein. Es war eine sehr frustrierende Erkenntnis, daß ich das nicht konnte. Wir waren einfach zu verschieden.«
    »Waren und sind«, sagte Giles und betrachtete noch immer seine Hände.
    »Aber diese Unterschiedlichkeit heißt nicht, daß tiefe Zuneigung unmöglich wäre«, fuhr Robin zögernd fort. »Du warst mir sehr viel mehr Vater als unser geschätzter Erzeuger. Alles, was ich an Ehrgefühl, Disziplin und Loyalität gelernt habe, habe ich von dir.« Er seufzte. »Vermutlich bin ich nur deshalb Spion geworden, weil ich wollte, daß du stolz auf mich bist. Es ist zugegebenermaßen ein niedriges, übelbeleumdetes Gewerbe, aber gegen Verbrecher wie Bonaparte ist es wichtig. Es hat mich geschmerzt, daß du meine Tätigkeit nicht gebilligt hast, aber nachdem ich einmal damit begonnen hatte, gab es kein Zurück.«
    Giles blickte ihn ernst an. »Nie habe ich deine Aktivitäten mißbilligt. Ich war sogar verdammt stolz auf deinen Mut und deine Findigkeit.«
    Robin hob die Brauen. »Tatsächlich? Jede unserer Auseinandersetzungen entstand über meine Arbeit. Deine Mißbilligung war deinen extrem seltenen Briefen zu entnehmen und entlud sich, als wir uns vor vier Jahren in London trafen.«
    Sein Bruder wandte den Blick ab. »Ich bedauere, an jenem Abend die Beherrschung verloren zu haben, aber ich habe mir große Sorgen gemacht.
    Du hast ausgesehen, als könntest du jeden Augenblick zusammenbrechen. Ich fand, es sei höchste Zeit, daß Großbritannien seinen Kampf ohne dich fortsetzt.«
    »Damals befand ich mich wirklich in keinem besonders guten Zustand«, räumte Robin ein.
    »Aber der Rückzug in ein abgeschiedenes Leben in Yorkshire hätte mich vollends um den Verstand gebracht. Für mich war es besser, mit der Arbeit fortzufahren und meine Chancen zu nutzen.«
    »Wie du schon sagtest, sind wir sehr verschieden.
    Für mich war Wolverhampton stets eine Quelle der Freude und Erholung.«
    Nach längerer Pause sagte Robin fast resigniert:
    »Nach dem Tod unserer Mutter gab es nie genug Liebe auf Wolverhampton – Vaters Trauer und Zorn vergiftete uns irgendwie alle. Von dir wagte ich nicht zuviel zu verlangen – aus Angst, daß du die Geduld verlierst. Und das hätte ich nicht ertragen.«
    Giles lächelte trübe. »Und ich hatte Angst, sobald ich etwas täte, was unsere Beziehung belasten könnte, würdest du wie eine Libelle davonfliegen, um nie wieder zurückzukehren.«
    Robin schluckte. »Du warst die Rettung meiner Kindheit, Giles. Und jetzt bist du einer der beiden
    – nein, drei Menschen, für die ich mein Leben hingeben würde. Ich wünschte, ich hätte das schon früher gesagt. Es tut mir sehr leid, daß du auch nur einen Moment lang gedacht hast, ich würde für dich nichts empfinden.«
    Giles rieb sich die Stirn und verdeckte so sein Gesicht.
    Als er den Arm wieder senkte, waren seine Augen feucht. »Brüder sollen einander lieben, aber ich nahm an, bei uns gingen alle Gefühle ausschließlich von mir aus.«
    Wortlos streckte Robin die Hand aus, Giles ergriff sie und drückte sie hart. Mehr als bei seiner Rückkehr nach Wolverhampton hatte Robin das Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein.
    »Dieses Gespräch hätten wir schon vor Jahren führen sollen«, sagte Robin, nachdem er die Hand seines Bruders wieder losgelassen hatte. »Warum gerade heute, mitten auf der Dinnerparty?«
    Giles lachte verlegen auf. »Als ich sah, wie bezaubert Desdemona von dir war, kamen offenbar alle

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