Der Spion und die Lady
Es war besser, die Behütete Unschuld unerwähnt zu lassen. Je weniger über sie gesagt wurde, desto besser.
Ganz offensichtlich lagen Haslip etliche Fragen auf den Lippen. Beispielsweise die, wie es Seiner Lordschaft gelungen war, in einen von einer hohen Mauer umfriedeten Besitz einzudringen, warum er niemanden von seiner Anwesenheit in Kenntnis gesetzt hatte und warum er zwei Pferde benötigte. Aber er verkniff sie sich. »Sehr wohl, Mylord. Ich hole die Schlüssel.«
Nachdem er sie ins Haupthaus geführt hatte, entließ Giles den Verwalter. Dann begannen Desdemona und er das gesamte Gebäude zu durchsuchen. In der Küche trafen sie sich wieder.
»Sie waren mit Sicherheit hier«, erklärte Desdemona, nachdem sie die Vorratskammer, die Geschirrschränke und eine Zinkbadewanne mit überprüft hatte, in denen sich noch ein paar Wassertropfen befanden. Sie hielt einen frischgewaschenen Kristallkelch gegen das Licht.
»Und es sieht ganz danach aus, als hätten sie durchaus formvollendet diniert.«
»Für Stil hatte Robin schon immer etwas übrig«, bemerkte Giles. »Ich habe mir die
Wäscheschränke angesehen. Angesichts der Wäsche, die benutzt und dann wieder sorgfältig zusammengefaltet wurde, sieht es so aus, als hätten sie in getrennten Betten geschlafen.
Vielleicht waren alle unsere Sorgen überflüssig.«
»Das bleibt abzuwarten«, entgegnete Desdemona spitz. Dennoch mußte sie sich insgeheim die Möglichkeit einräumen, daß ein Pärchen durchaus gemeinsam reisen konnte, ohne daß der Mann über die Frau herfiel. Noch einen Tag zuvor wäre sie vielleicht anderer Meinung gewesen, aber das Zusammensein mit Giles lehrte sie, daß ein erwachsener Mann nicht unbedingt wie ein jugendlicher Heißsporn reagieren mußte. Vielleicht hatte Lord Robert Maxima seine Begleitung tatsächlich aus rein altruistischen Motiven angeboten.
Doch selbst wenn es kein Fehlverhalten gegeben hatte, blieben die Fragen nach Schicklichkeit und Reputation. »Da sie zu Pferd unterwegs sind, könnten sie noch heute abend in London eintreffen.«
»Ja.« Der Marquis schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »In einem oder zwei Tagen sollte dieses ganze Durcheinander aufgeklärt sein.«
Während sie als erste das Haus wieder verließ, dachte Desdemona darüber nach, daß das Problem Maxima kurz vor der Lösung stand, aber das Problem des Marquis noch längst nicht bereinigt war. Aber das war eine
Herausforderung, die sie genoß.
Kapitel 20
NACH EINEM LANGEN Tag im Sattel
überanstrengte London Maxies Sinne so intensiv, daß Boston im Vergleich dazu in ihrer Erinnerung wie ein gemütliches Marktnest wirkte. Erschöpft folgte sie Robins Pferd durch die dämmerigen Straßen und hatte nur einen Wunsch: endlich ihr Ziel zu erreichen.
Schockiert stellte sie dann fest, daß Robin sein Tier vor einem der prächtigsten Stadtvillen zügelte. »Hier ist es?« erkundigte sie sich betroffen.
Mit einem aufmunternden Lächeln stieg er ab.
»Hier ist es. Der Türklopfer ist nach oben geschoben, also sind meine Freunde zu Hause.«
»So wie wir aussehen, werden sie uns kaum an der Küchentür abfertigen, von einer Einladung in ihren Salon ganz zu schweigen«, murmelte Maxie, als sie müde vom Pferd glitt.
Robin schmunzelte. »Keine Bange. Sie haben mich schon in üblerem Zustand gesehen.«
Als sie auf dem Kopfsteinpflaster stand und an der eleganten Fassade emporblickte, kam sich Maxie wie eine schmutzbedeckte Provinzgans vor. Doch ihr Stolz kam ihr zur Hilfe. Was machte es schon aus, was ein paar überzüchtete englische Aristokraten von ihr hielten? Wenn es Robin für angebracht hielt, sie hierher zu bringen, würde sie sich nicht in sich zusammenziehen wie ein geprügelter Hund.
Maxie hielt die Pferde, während Robin den Türklopfer bediente. Fast unverzüglich wurde die Tür von einem Diener in Livree und mit Perücke geöffnet. Der Mann musterte sie sehr langsam und so abfällig, als hätte jemand einen Korb verwesender Fische vor seiner Tür abgeladen.
Bevor der Mann einen Ton über die Lippen bringen konnte, verlangte Robin fast herrisch:
»Rufen Sie jemanden, der sich um die Pferde kümmert.« Wieder war er unvermittelt in eine andere Haut geschlüpft, diesmal in die eines arroganten Aristokraten.
Der Diener wollte etwas sagen, aber jeder Protest brach unter den hochnäsigen Blicken des Besuchers in sich zusammen. Eine Minute später tauchte der Butler auf, und der Diener ließ sich dazu herab, die Pferde selbst in den Stall zu
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