Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
Vom Netzwerk:
verhört, aber es kam nichts dabei heraus. Sie hatten wohl noch nach einem anderen Fahrer gesucht, aber nur halbherzig, Uwe war jedenfalls nie mehr befragt worden.“
    Dass Uwe zu dem Zeitpunkt gar keinen Führerschein besessen hatte, irritierte seine Mutter nicht. In der Gegend war es üblich, dass junge Leute am Wochenende und nachts Spritztouren unternahmen. Ein Wagen war schnell kurzgeschlossen, und meistens passierte ja auch nichts. Viele Jungen konnten fahren, mit zehn saßen sie auf dem Traktor, mit zwölf bretterten sie durch die Kiesgrube und später über Landwirtschaftswege.
    „Hat Ihr Mann Uwe oft geschlagen?“
    „Ging ja nicht anders. Es gibt artige Kinder und aufsässige Kinder. Uwe war schwierig, immer schon. Genau genommen schon vor der Geburt.“
    „Sie hatten demnach Probleme während der Schwangerschaft?“
    „Frau Stein legte die Zeitung beiseite. Zum ersten Mal schaute sie Verena an. Es war, als würde das Gespräch jetzt erst beginnen.
    „Ich weiß zwar nicht, was Sie das angeht, aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen … Es ist sowieso verjährt. Uwe ist nicht von meinem Mann, er ist ein Bankert. Wir waren verlobt, da bin ich überfallen worden, auf dem Rückweg vom Schützenfest. Ich wollte schon vorgehen, mein Mann wollte noch bleiben. Ein Schausteller hat mich ins Gebüsch gezerrt, ich habe mich gewehrt, aber er war zu stark für mich. Uwes leiblicher Vater gehörte zum fahrenden Volk. Mein Mann war natürlich stinksauer. Wer will schon eine vergewaltigte Verlobte, ich kann das gut verstehen. Aber er hat mir verziehen und wir haben geheiratet. Eigene Kinder sind nicht dazu gekommen. Er hat sehr darunter gelitten, fing irgendwann an zu trinken.“
    „Wenn Sie Ihren Sohn nicht wollten, hätten Sie ihn doch weggeben können. Viele Paare suchen händeringend Kinder, die zur Adoption freigegeben werden.“
    „Mein Mann wollte nicht. Manchmal glaube ich, er hat den Jungen behalten, um ihn für das zu bestrafen, was sein Vater uns angetan hat.“
    Sie tauchte in die Vergangenheit ab und erinnerte sich an Schläge, Schläge und nochmals Schläge. Immer mit dem Gürtel, immer mit voller Wucht und großer Wut. Danach hieß es für Uwe ab in den Keller, wo das zitternde Kind die Nacht verbringen musste. Auf dem nackten Fußboden, ohne Decke. „Sonst ist es keine Strafe, hat mein Mann gesagt. Er hat dem Jungen nichts durchgehen lassen. Uwe durfte nichts kaputt machen und nicht zu spät kommen. Eigentlich durfte er gar nichts machen, es gab auf jeden Fall Schläge. Und Essensentzug, den gab es auch.“
    Als er klein war, brüllte Uwe noch, dann winselte er um Gnade. Genützt hat es ihm nicht, im Gegenteil es hat meinen Mann nur noch mehr gereizt. Seit Uwe zehn war, erduldete er die Schläge, ohne sich zu wehren. Aber da war der Blick. Mein Mann hat den Blick nie bemerkt, er hat gesagt, ich bilde mir das ein. Aber in der Zeit hat der Junge sich das vorgenommen, was er Jahre später getan hat. Ich kann es nicht beweisen, aber ich weiß es.“
    Verena wurde übel. Diesmal war kein Virus verantwortlich, sondern ihre Fantasie. Die Vorstellung eines kleinen Jungen, der von seinem Vater systematisch gequält wurde … Sie schluckte, kämpfte gegen den Brechreiz, konzentrierte sich auf die frische Luft. Der Zug im Nacken war unangenehm. Sie rückte ein Stück nach rechts in die Sonne. Die gleichmütige Miene der alten Frau regte sie auf.
    „Was haben Sie getan, um Ihr Kind zu schützen?“
    „Ich? Was sollte ich denn tun? Ich habe das Kind doch nicht gewollt. Wenn mein Mann die Strafen für richtig hält … Davon stirbt man nicht. Na ja, am Ende ist dann mein Mann gestorben. Anfangs kam der Bengel immer zu mir, heulte und wischte seinen Schnodder an mir ab. Das ist nicht schön. Sie haben bestimmt keine Kinder, oder?“
    „Wie kommen Sie darauf, dass ich keine …?“
    „Keine, sag ich doch. Dann hat man natürlich leicht reden. Ich habe ihn weggeschubst. Er musste sehen, wie er klarkam. Ich meine, es ging ihm doch nicht schlecht. Er bekam zu essen und zu trinken, meistens jedenfalls, und hatte ein eigenes Zimmer. Das hatte nicht jeder.“
    Verena kochte innerlich. Du herzloses Weib. Sitzt hier und erzählst seelenruhig, dass du jahrelang zugesehen hast, wie ein Kind brutal misshandelt wurde.
    „Was sagen Sie denn dazu, dass aus Ihrem Sohn trotz allem ein erfolgreicher Politiker geworden ist?“
    „Erstens interessiert es mich nicht. Zweitens ist das der Beweis, dass es nicht so schlimm gewesen

Weitere Kostenlose Bücher