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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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war einer der seltenen Samstage, an denen es möglich war, das Gaspedal durchzutreten. Verena fuhr gerne schnell, der Z3 war nicht für Fahrten im Schneckentempo gebaut. Sie schaffte die Strecke nach Osnabrück in knapp zwei Stunden. Ihre Mutter hatte einen ihrer guten Tage, sie erkannte Verena und wirkte präsent. So harmonisch war es auch früher zugegangen, wenn Verena nach einer Woche mit viel Arbeit zu Hause angekommen war. Vor 20 Jahren hatte sie Osnabrück verlassen, doch noch immer bezeichnete sie die Stadt als ihr Zuhause, nicht die Landeshauptstadt, in der sie die Hälfte ihres Lebens verbracht hatte und so wie es aussah, auch in Zukunft leben würde.
    Mutter und Tochter gingen in das Café neben dem Seniorenheim. Obwohl kein Zweifel bestand, dass sie sich mit dem Stück übernehmen würde, bekam die Mutter die erbetene Schwarzwälder Kirschtorte. Beide tranken Ostfriesentee. Es begann entspannt, denn die Mutter beantwortete Verenas Fragen, wenn auch in der Sprache eines Kindes. Aber dann baute sie rapide ab, schob nach drei Bissen das Tortenstück weg und wurde müde. Verena brachte ihre Mutter aufs Zimmer. Nach wenigen Atemzügen schlief die alte Dame im Ohrensessel ein. Verena war noch keine 30 Minuten hier. Vier Stunden Fahrerei für 25 Minuten Mutter. Schwester Hildegard war nicht da. Ihre Vertreterin berichtete, dass die Mutter Schwierigkeiten mit dem Essen machte und gefüttert werden müsse. Auch könne sie nicht mehr allein auf die Toilette gehen. Pflegestufe 2 deckte das nicht ab. Verena sagte zu, die monatlichen 310 Euro Mehrkosten an Pflegeaufwand für Stufe 3 zu übernehmen.
    Die Rückfahrt verlief in gedrückter Stimmung, die sich mit jedem Kilometer Richtung Hannover verstärkte. Der zunehmende Verfall der Mutter; ihre unselige Liaison mit Jürgen; ein Mordfall, bei dem sie auf der Stelle trat: Es lief nicht rund in ihrem Leben. Dazu kam ein böser Verdacht. War es Zufall, dass alle Spuren ins Leere liefen oder zog jemand im Hintergrund die Fäden? Verena neigte nicht zu Paranoia, aber es wäre nicht das erste Verbrechen in der Welt der Politik, bei dem das Ende offen blieb.
    Zurück in Hannover, steuerte Verena den Golfklub am Blauen See in Garbsen an. Bei „Radio Niedersachsen“ war Aufregung ausgebrochen. Hannover 96 hatte unerwartet das Samstagsspiel gegen den HSV mit 3:1 gewonnen, der kleine gegen den großen Bruder, das sorgte nicht nur bei den Moderatoren von Radio Niedersachsen für gute Laune. Solange Verena zurückdenken konnte, litt diese Stadt unter dem großen Bruder im Norden, der all das war, was Hannover gerne sein wollte, aber niemals werden würde: eine mondäne Weltmetropole mit einer Millionärsdichte, mit der sie in Europa ganz vorne lag, die in der Wirtschaft, Kultur und in fast allen anderen Belangen der niedersächsischen Provinzhauptstadt weit überlegen ist. Zum Verdruss der Hannoveraner hatte die Hansestadt kürzlich auch noch den europäischen Umweltpreis ergattert und den jahrelangen Bemühungen der niedersächsischen Landeshauptstadt, wenigstens in dieser Hinsicht die Nummer eins im Norden zu sein, getrotzt. Der Sieg von 96 war Labsal für die sich stets zurückgesetzt fühlenden Niedersachsen.
    Noch knapp zwei Stunden bis zum Anbruch der Dunkelheit. Die meisten Mitglieder hatten ihre Runde beendet und ließen es sich auf der Terrasse gut gehen. Einige Spieler erkannten sie und winkten ihr zu. Sie genoss es, den Platz für sich allein zu haben. Bei Anbruch der Dämmerung kam Verena ins Klubhaus. Sie hatte gut gespielt, musste nur ein Loch streichen, hatte nur einen Ball im Blätterdickicht verloren. Die frische Luft hatte ihre Lebensgeister geweckt. Im Restaurant saß nur noch eine Handvoll Spieler, die Verena nicht kannte. Sie bestellte einen Golfertoast und ein großes Weizenbier. In dieser Nacht schlief sie tief und traumlos.

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    Die Deutsche Antriebstechnik hat kein Interesse an einer Unternehmensbeteiligung an der Tawes AG mit Sitz in Hannover. Dies erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Jahn anlässlich der BDI-Jahrestagung in Frankfurt am Main
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    Seit Monaten war darüber spekuliert worden, dass das Ulmer Unternehmen die von der Familie Rausch gehaltene Beteiligung an der Tawes AG übernehmen wolle. Dem Vernehmen nach hatte die Deutsche Antriebstechnik den Kauf davon abhängig gemacht, ob das Land Niedersachsen seine Sperrminorität nutzen würde, um die Sanierungskonzepte der Deutschen Antriebstechnik im Aufsichtsrat zu blockieren. Der

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