Der Spitzenkandidat - Roman
Zürich und Vaduz. Verbindungen, die nach Geldwäsche rochen. Stein hatte dafür plädiert, ihn als Mandanten zu akzeptieren, weil er der Kanzlei viel Geld einbringen würde. Gut möglich, dass er sich über Hackmanns Entscheidung, die Finger von dem Kerl zu lassen, hinweggesetzt hatte. Und dann war da ja noch die Sache mit dem geheimnisvollen Umschlag, den Stein bei ihm deponiert und den er der Witwe ausgehändigt hatte.
Für einen kurzen Moment erwog Hackmann, noch einmal mit Janssen zu sprechen. Er hatte Steins Witwe gegenüber der Staatsanwaltschaft vertreten und kannte die Einzelheiten des Deals. Dann besann er sich anders. Hackmann beharrte auf der Souveränität jedes Anwalts, und Diskretion war die oberste Maxime seines Handelns. Mochte der Deal auch gewöhnungsbedürftig sein, immerhin hatte der Staatsanwalt zugestimmt. Und das Verhalten der Witwe am Telefon konnte viele Gründe haben, auch banale. Als seine Sekretärin die Ankunft des nächsten Mandanten ankündigte – Steuerhinterziehung im hohen sechsstelligen Bereich – stand Hackmanns Entschluss fest: Er würde keinen Gedanken mehr an die Angelegenheit Stein verschwenden. Es war der Job der Polizei, den Mord aufzuklären.
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Wagner unterdrückte ein Gähnen. Nicht dass Albis Rede langweilig war, aber er hatte die Nacht kaum geschlafen. Monika hatte ihm eine Szene gemacht. Das Übliche, er sei ein Langweiler, wolle nie etwas mit ihr unternehmen und obendrein sei er fett. Ihr Gezeter hatte ihn zum Grübeln gebracht. Der dritte Krach in einer Woche, wo sollte das enden und vor allem wie? Er hatte stundenlang wach gelegen und war erst gegen Morgen eingeschlafen.
Albi lief zu Hochform auf. „Und nun entscheiden Sie in aller Ruhe zu Hause, wer geeignet ist, unser geliebtes Niedersachsen in die Zukunft zu führen. Eine Partei, die seit zehn Jahren bewiesen hat, dass sie es kann und dass sie es will. Oder eine Partei, die … Oh entschuldigen Sie, dass ich nicht weiterrede. Aber ich sehe diese zweite Partei momentan gar nicht mehr. Jedenfalls nicht mit bloßen Augen. Weil sie so klein ist und sich so gern wegduckt, wenn es schwierig wird. Lassen wir ihr die Zeit, um sich zu berappeln. Schicken wir sie fünf weitere Jahre in die Reha, damit sie beim Anblick von Verantwortung nicht kreidebleich wird. Solange machen wir weiter wie bisher – und legen noch einige Schippen Zukunft drauf. Alfred Bitter bittet Sie um Ihre Stimme! Gemeinsam für Niedersachsen!“
Der Saal tobte. Schwitzend, mit hoch erhobenen Armen nahm Bitter die Huldigungen der Masse entgegen. Der Wahlkampf brachte seine besten Talente zum Vorschein. Er war kein begnadeter Redner wie Uwe Stein, aber seine Auftritte kamen gut an. Er war ein genialer Vereinfacher. Er brachte die Dinge auf den Punkt und kannte sich in der Lebenswirklichkeit seiner Zuhörer aus. Er redete einfach, seine Worte ließen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Dass er inhaltlich nichts Neues sagte, schien kaum jemanden zu stören. Sein Humor übertünchte vieles, in jeder Rede brachte er wenigstens einen Witz unter. Klaglos nahm er hin, dass sich jüngere Leute rar machten. Aber die Handwerksmeister, die Landwirte, die Kaufleute und vor allem die Senioren kamen zu Bitter. Mehr als die Hälfte seiner Zuhörer hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten.
An diesem Tag hatte er bereits drei Veranstaltungen absolviert: morgens um zehn vor Handwerksmeistern in Osnabrück; danach ein Termin bei Hoteliers in Bad Iburg; in Meppen saßen über 100 Landfrauen aus dem Emsland vor ihm. Bitters Rede war immer die gleiche, jedoch mit Nuancen. Eine Pflichtpassage war die Betroffenheit über Steins Tod und eine Würdigung seiner Verdienste. Das bewegte die Zuhörer. Danach Agrarpolitik mit Breitseiten gegen die Brüsseler Bürokratie: die Sauerei mit der Milchquote, die unzureichenden Zahlungen für Ausgleichflächen. Von da ein eleganter Schlenker zu den Landfrauen als Leistungsträgerinnen und Mitte der ländlichen Gesellschaft.
Normalerweise ließ Bitter keine Fragen zu. Im Wahlkampf wollte er seine Botschaften loswerden und nicht mit Fragen behelligt werden. An diesem Nachmittag ließ er sich von der positiven Stimmung mitreißen und gestattete drei Fragen. Die erste betraf die hohen Zahlungen Deutschlands an Brüssel. Die zweite den Ökolandbau. Beide Fragen waren nach seinem Geschmack, erneute Sticheleien gegen die EU und die Weltverbesserer der Ökofraktion. Die dritte Frage lautete: „Weshalb ist so wenig über Uwe
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