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Der Spitzenkandidat - Roman

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Titel: Der Spitzenkandidat - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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gestört werden. Falls Stollmann so viel Zeit habe, könne er in der Besucherecke am Ende des Flures warten. Es könne aber lange dauern. Obwohl Stollmann sehnsüchtig die Kaffeemaschine beäugte, bot sie ihm nichts an.
    Auf dem Flur traf er eine elegant gekleidete Frau, die seinen freundlichen Gruß mürrisch erwiderte. Vielleicht war Unfreundlichkeit bei der Tawes AG Einstellungsvoraussetzung. Immerhin lagen in der Besucherecke aktuelle Automagazine aus. Stollmann blätterte die Seiten durch und stellte sich selbst mit Geliebter in einem Coupé oder Roadster vor.
    Ein älterer Mann kam auf ihn zu. Er war um die sechzig und sah keinen Tag jünger aus. Die Brille war zu groß für das Gesicht, die Haut zu fahl für die Jahreszeit. Ralf Hübner. Der erste zuvorkommende Mensch in diesem Laden, dachte Stollmann, als der ihn freundlich begrüßte.
    Auf dem Weg in sein Büro sagte der Betriebsrat: „Das ist das erste Mal, dass mich ein Beamter des LKA aufsucht.“
    „Da haben Sie aber Schwein gehabt.“
    Der griesgrämige Zerberus musste Kaffee bringen. Das Büro war groß und teuer eingerichtet. Selbst der Direktor im LKA residierte nicht so nobel.
    Im Lauf der Jahre hatte sich Stollmann den Small Talk abgewöhnt. Kaum einer kam rücksichtsloser zum Thema als er. Hübner wollte durch die Presse von der schrecklichen Tat erfahren haben.
    „Ich frage mich allerdings, weshalb Sie zu mir kommen. Stein und ich hatten wenig, eigentlich gar nichts miteinander zu tun. Der Mann war kein Politiker, dem die Belange der Arbeitnehmer am Herzen lagen. Er war ein Mann der anderen Seite. Betriebsräte und Gewerkschafter standen für ihn der Anpassung und Modernisierung der Wirtschaft an die neuen Verhältnisse im Wege. So ein Schwachsinn. Wer steht denn an den Werkbänken, um die von den Ingenieuren konstruierten Maschinen zu bauen?“
    Stollmann wartete auf seinen Kaffee, er hatte noch kein Frühstück gehabt.
    „In der Wirtschaftspresse war zu lesen, dass es Probleme zwischen Stein und Ihnen gab. Es ging dabei um die Fusion der Tawes AG mit der Deutschen Antriebstechnik. Außerdem habe ich läuten hören, dass Sie einen Wahlaufruf gegen Stein geplant haben.“
    „Erstaunlich, dass Polizeibeamte das Wirtschaftsblatt lesen. Die Fakten stimmen. Die Antriebstechnik will uns schlucken. Pikant wird das Ganze dadurch, dass Stein demnächst unser Aufsichtsratsvorsitzender geworden wäre. Er war für die Übernahme, das haben wir Arbeitnehmer als Kriegserklärung betrachtet.“
    Der Kaffee kam in Begleitung des Zerberus. Eine schmale Vase mit einer gelben Rose gab es kostenlos dazu. Keine Kekse. Die Rose harmonierte farblich mit der sonnengelben Ledergarnitur, auf der sie Platz genommen hatten.
    Hübner bestätigte, einen Wahlaufruf gegen Stein vorbereitet zu haben. „Es ging mir gewaltig gegen den Strich, wie der mit unseren Belangen umging. Was hat das mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, frage ich Sie? Politiker sollen für einen Interessenausgleich zwischen den Marktpartnern sorgen und nicht die Handlanger des Großkapitals spielen. Aber das scheint in diesem Land in Vergessenheit geraten zu sein.“
    Er nahm seine Brille ab und putzte sie umständlich. „Das ist gottlob Schnee von gestern, Stein ist tot. Und ich weine ihm keine Träne nach. Vermutlich wird Bitter zum neuen Spitzenkandidaten ausgerufen und die Wahl gewinnen. Er ist nicht mein Traumkandidat, aber wir Betriebsräte können mit ihm leben. Zu konservativ für meinen Geschmack, aber ein anständiger Kerl. Das ist heutzutage ja nicht mehr selbstverständlich. Er wird uns Arbeitnehmer nicht verraten.“
    Beide tranken ihren Kaffee in Windeseile aus, Hübner ging zur Tür, um Nachschub zu ordern. Der Zerberus war abwesend.
    „Ich übernehme das gerne“, schlug Stollmann dem verdutzten Betriebsrat vor und füllte im Vorzimmer die Tassen auf. Als Hübners Telefon klingelte, nutzte er die Gelegenheit. Zwei Schiebetüren weiter hielt er die ersehnte Kekstüte in der Hand.
    Hübner grinste beim Anblick der Kekstüte, lehnte selbst dankend ab. Stollmanns Fragen fielen trotz der Kekse nicht rücksichtsvoller aus: „Sie sind also erleichtert, dass Uwe Stein tot ist?“
    Hübner säuberte abermals umständlich seine Brille. Es sah aus, als würde er ein Fenster putzen.
    „So drastisch hört es sich schlimm an. Sagen wir, ich bin erleichtert, dass er nicht Ministerpräsident wird. Für uns Arbeitnehmer bei der Tawes AG wäre es eine Katastrophe geworden. Allein in Hannover hätte

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