Der Spitzenkandidat - Roman
die sogenannte Fusion tausend Arbeitsplätze gekostet.“
„Warum erfährt man in der Presse so wenig, wenn so viel auf dem Spiel steht?“
„So was läuft im Verborgenen, sozusagen hinter den Kulissen. Konkretes erfahren Sie immer erst, wenn alles entschieden ist und die Anteilseigner ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Wir Arbeitnehmer sind es, die für die Gier der Managerklasse zahlen. Und dann beklagen die Politiker lauthals den Rückgang der Arbeitsplätze. Ist doch ein Witz.“
„Sie waren über den geplanten Deal informiert.“
„Ja, aber nicht offiziell. Das ist bei Deals zwischen Großindustrie und Politik immer so. Alles spielt sich im Geheimen ab. Ich musste meinem Informanten Vertraulichkeit zusagen. Und an Versprechen halte ich mich, eine Hand wäscht die andere. Ich glaube auch nicht, dass Ihnen das bei Ihren Ermittlungen weiterhilft. Weder ich noch mein Informant haben etwas mit dem Mord zu tun.“
„Herr Stein hat sich mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Antriebstechnik getroffen. Und wenige Minuten nachdem das Treffen vorbei war, wird er erschlagen. Merkwürdig oder?“
Hübner starrte ihn ungläubig an. „Ist das wahr? Das war mir nicht bekannt. Es stand auch nichts über das Treffen in der Zeitung.“
„Sie haben es doch selbst gesagt: Es spielt sich alles im Geheimen ab. Ich frage mich, warum Sie am Nachmittag vor der Tat Herrn Stein angerufen haben und warum es Ihnen so wichtig war, sich mit ihm zu treffen.“
Hübner begann, im Raum hin- und herzugehen. Dabei putzte er erneut umständlich seine Brille. Stollmann hätte diese Minuten gern abgekürzt.
„Das hat nichts weiter zu bedeuten“, behauptete Hübner. Er wirkte nicht mehr souverän. „Ich wollte ihm klarmachen, dass er mit uns nicht so umspringen kann. Mag sein, dass ich nicht besonders freundlich war.“
„In der Eilenriede?“
„Was? Was reden Sie denn da! Am Telefon natürlich, nur am Telefon. Aber er hat nicht zurückgerufen. Will sagen, es hat kein Treffen stattgefunden.“
„Spielen Sie Golf, Herr Hübner? Bekommt man als Arbeitnehmervertreter eigentlich Rabatt beim Kauf von Schlägern und Bällen?“
„Ich und Golf? Wo denken Sie hin? Was, glauben Sie, würden meine Leute mit mir machen, wenn ich Golf spielen würde? Betriebsrat und Golf, das ist wie Feuer und Wasser.“ Er blieb erneut stehen, um seine Brille zu putzen.
„Wie steht es bei Ihnen um den Krankenstand?“, fragte ihn Stollmann.
„Was soll das nun wieder?“
„Bei uns im LKA grassiert ein Magen-Darm-Virus.“
„So, so. Bei uns nicht. Was mich betrifft: Mein Blutdruck ist etwas hoch. Aber das ist mein Job. Wer in meinem Job einen niedrigen Blutdruck hat, ist nicht mit dem Herzen dabei.“
Dass Hübner bis vor wenigen Jahren aktiv Hockey gespielt hatte, verschwieg er. Auch dass es für Hockeyspieler kein Problem ist, einen Golfball zu treffen. Besonders nicht, wenn der Ball so groß wie ein Kopf ist.
„Verraten Sie mir, was Sie am Tatabend gemacht haben. Wo waren Sie Dienstag zwischen 21 und 22 Uhr?“
Hübner ging zum Schreibtisch. Erst als er begann, Papierhaufen umzuschichten, wurde Stollmann bewusst, wie viel Ähnlichkeit sein eigener Tisch mit dem Chaos beim Betriebsratsvorsitzenden aufwies. Hübner fischte einen Kalender hervor, er sah aus, als habe er im Wasser gelegen.
„Haben wir gleich“, murmelte er. „Ich notiere alle Termine, auch die privaten. Da lasse ich keinen ran. Bei mir gibt es noch den guten alten Kalender, nicht diesen modernen Kram mit iPhone und Notebook.“
Stollmann bemerkte, dass Hübner schwer atmete und sich auf seiner Stirn Schweißperlen gebildet hatten. Er sollte lieber keinen Kaffee mehr trinken.
„Am Dienstagabend war ich zu Hause. Ich musste am nächsten Tag früh raus, Europäische Betriebsräte-Richtlinie. Ungemein wichtig für uns Arbeitnehmer. Der Flieger nach Brüssel geht immer um halb sieben. Seitdem die Lufthansa diese grauenhaften Fahrkartenautomaten einsetzt, muss man eine Stunde früher am Flughafen sein. An diesen Tagen muss ich um fünf raus.“
Er schnappte nach Luft. Stollmann verspürte Mitgefühl, der Mann war krank.
„Die Ingenieure erfinden, die arbeitende Klasse plagt sich mit den Erfindungen herum“, sagte er. Der Betriebsratsvorsitzende kapierte nicht gleich, worauf Stollmann anspielte, und lächelte dann pflichtgemäß.
„Wer bestätigt mir, dass Sie um zehn zu Hause waren?“
„Meine Frau nicht. Die war beim Sport, Frauengymnastik, falls
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