Der Stalker
ist clever. Hat sich mitten in die Ermittlungen gedrängt und versucht, sie von innen heraus zu sabotieren. Was ich allerdings ziemlich seltsam finde, ist, dass Phil das so ohne weiteres mitgemacht hat.«
»Er schien nicht ganz bei der Sache zu sein.«
»Wieso nicht?«
Anni sprach nur ungern darüber, aber sie hatte keine Wahl. »Ich weiß nicht, er war irgendwie mit den Gedanken woanders.«
Marina nickte stumm. Besser, das Thema nicht weiter zu vertiefen. »Na ja, am Ende hat er sie ja durchschaut.« Sie lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, während sie nachdachte. »Schauen wir mal, was wir haben. Sie ist manipulativ und neigt zur Kontrollsucht. Sie hat Ihnen ein falsches Profil untergejubelt, auf dessen Basis Anthony Howe verhaftet wurde. Jemand, den sie kannte und der sie unterrichtet hat.«
»Wollte sie sich an ihm rächen?«
»Gut möglich, wenn man bedenkt, dass sie in seine Zelle gegangen ist, um sich mit ihm zu unterhalten, und er unmittelbar danach versucht hat, sich umzubringen. Oh ja, manipulativ ist sie auf jeden Fall.«
Marina suchte in den Unterlagen auf Annis Schreibtisch, bis sie den Obduktionsbericht von Adele Harrison gefunden hatte. »Und dann wäre da noch das hier …« Sie blätterte ein paar Seiten um. »Auf der Basis von dem hier habe ich einen ganz anderen Eindruck von der Sache. Vielleicht liegt es daran, dass ich nach etwas anderem suche, aber irgendwas stimmt hier nicht. Ganz und gar nicht.«
Kurz entschlossen nahm sie den Telefonhörer ab und wählte die Nummer von Nick Lines.
»Hi, Nick, hier ist Marina Esposito. Sagen Sie mal, die Autopsie von Adele Harrison …« Erneut blätterte sie in dem Bericht. »Ich habe das Protokoll überflogen und hätte dazu noch ein paar Fragen. Vorerst ist es nur eine Theorie. Es geht um die Verstümmelung der Geschlechtsorgane. Denken Sie, es wäre möglich, dass sie gar nicht sexuell motiviert war?«
Sie lauschte seiner Antwort.
»Das kann ich Ihnen sagen. Weil sie mir übertrieben vorkommt, als sei sie dem Opfer einzig und allein zu dem Zweck zugefügt worden, uns auf die falsche Fährte zu locken. Sie scheint mir mit den anderen Verletzungen nicht vereinbar. Ich meine, der Sadismus und der Hass, die dahinterstecken, stehen außer Frage, aber …«
Wieder hörte sie zu, was Lines zu sagen hatte. Seine Antwort war ziemlich ausführlich. Marina hob die Brauen.
»Interessant. Sehr interessant. Danke, Nick.«
Sie legte auf. Anni sah sie erwartungsvoll an.
»Und?«
»Er stimmt mir zu. Er glaubt auch, dass die Verstümmelung der Genitalien eine Finte sein könnte. Es gab keine Anzeichen auf eine Vergewaltigung, nur die Verstümmelung. Und er hat mir noch was gesagt.«
Ungeduldig rückte Anni näher.
»Er hat gerade die vorläufigen Ergebnisse des DNA -Tests von Adeles Leiche bekommen. Drei unterschiedliche Profile.«
»Drei?«
Marina nickte. »Und eins davon ist hochinteressant –«
Allerdings bekam sie nicht mehr die Gelegenheit zu erklären, was an dem DNA -Profil so interessant war, denn in diesem Augenblick kam ein verschwitzter, aber euphorischer Mickey in die Bar stolziert und verkündete, dass Mark Turner in einem Vernehmungsraum darauf warte, in die Mangel genommen zu werden.
Er sah zwischen Anni und Marina hin und her.
»Also, wie wollen wir’s angehen? Guter Bulle, böser Bulle, oder was?«
»Zeit für ein kleines Gespräch«, meinte Marina.
87 Die Sonne ging langsam unter, und das Licht wurde fahler, diffuser. Auf dem Colne Causeway hatte sich der Berufsverkehr stadtauswärts wie immer bis zur Avenue of Remembrance gestaut, und Feierabendsendungen im Radio lieferten den Soundtrack für die lange Heimfahrt. Die Welt ging ihren gewohnten Gang, während Phil unten am King Edward Quay hinter einem rostigen Metallzaun stand und zusah, wie die Männer der bewaffneten Sondereinheit ihre Positionen im Umkreis von Buchans Boot bezogen.
Kurz darauf gab Wade das Zeichen. Das Team bewegte sich rasch und lautlos. Phil stellte fest, dass er die Luft angehalten hatte, und zwang sich dazu weiterzuatmen.
Die Aktion lief reibungslos. Ein Team hatte das Boot umzingelt und konnte jederzeit eingreifen, falls Verstärkung nötig wurde. Das zweite, größere Team ging an Bord. Schon waren sie auf dem Steg, an Deck, dann über die Treppe in der Kabine verschwunden. Ein Rammbock aus Testosteron, Muskeln und Metall, der alles plattwalzte, was ihm in den Weg kam. Die Männer brüllten und machten absichtlich so viel
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