Der Stalker
und starrte ihr Handy an. Erst dann merkte sie, dass er ganz am Ende noch etwas gesagt hatte: dass er sie liebte.
Sie stand auf und sah sich um. Sah nichts, was sie noch hier im Park gehalten hätte. Ihr Urlaub war zu Ende. Sie setzte sich in Bewegung. Wenig später war sie oben auf dem Hügel und an der Hauptstraße. Ihr Blick ging erst nach East Hill, dann in die andere Richtung zum Stadtzentrum. Sie lief los.
Erst als sie unten bei der Brücke über den Colne angekommen war, wurde ihr klar, dass sie weder wusste, wo sie gewesen war, noch, wohin sie ging.
13 Suzanne stand an die Wohnungstür gelehnt in ihrem Flur und fragte sich, wann sie sich jemals wieder sicher fühlen würde. Ob Riegel, Schloss und Kette ausreichen würden, um in Zukunft Eindringlinge fernzuhalten.
Noch immer spürte sie das kalte Metall in ihrem Innern wie eine Art Phantomschmerz. Sah die verschiedenen Schraubbecher, die diverse ihrer Körperflüssigkeiten und Wattestäbchen mit Abstrichen enthielten, nebeneinander auf dem Tisch stehen. Dr. Winter, wie sie ihre Aufzeichnungen durchging und ihr dann ins Gesicht sah.
»Sie wurden nicht vergewaltigt.«
Es würde noch mehr Tests geben, aber das Ergebnis stand fest.
Suzanne hätte froh sein sollen, aber stattdessen …
Vor ihr stand das Telefontischchen. Das Telefon lag auf ihrem Adressbuch. Hatte sie es dort liegen lassen? Genau so? Sie konnte durch den Flur in ihr Schlafzimmer sehen, die zurückgeschlagene Bettdecke, die geöffneten Vorhänge, die hochgezogene Jalousie …
»Oh Gott …«
Sie ließ sich nach unten rutschen und schlug die Hände vors Gesicht. Tränen kamen. Harte, schmerzhafte Schluchzer. Sie presste die Hände so fest aufs Gesicht, dass sich die Fingernägel in ihre Haut gruben.
»Nein … nein!«
In hilfloser Wut trat sie um sich. Sie spürte, wie sie dem Gefühl nachgab. Wie es sie immer schwächer machte, als würde sie von innen heraus von einer Säure zerfressen …
Dann schlug sie die Augen auf. Zwang sich dazu, mit dem Weinen aufzuhören.
»Nein!«, schrie sie. »Nein! Du kriegst mich nicht klein! Nein!«
Suzanne spürte, wie sich etwas in ihr regte. Heiß und feuerrot. Sie sprang auf die Füße.
»Nein, du verdammtes Schwein!«
Sie sah sich im Flur nach etwas um – irgendetwas –, das sie packen und werfen konnte. Ihr Blick fiel auf das Telefon. Sie nahm es in die Hand. »Hörst du mich?« Sie drehte sich im Kreis und brüllte die Wände an. »Du kriegst mich nicht klein!«
Sie schleuderte das Telefon mit aller Kraft gegen die Wand. Es prallte ab und fiel polternd zu Boden.
Sie starrte es an und seufzte. Ihr war schwindlig, aber das Gefühl ließ langsam nach. Sie atmete schwer, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich. Als wäre sie um ihr Leben gerannt.
Sie hatte der Polizei nichts von Anthony gesagt. Zweifellos würden sie das auch so herausfinden. Sie hatten die alten Akten vorliegen, würden sicher einen Blick hineinwerfen. Und dann würden sie glauben, dass sie log. Dass sie sich alles nur ausgedacht hatte, aus welchem Grund auch immer. Weil sie Aufmerksamkeit wollte.
Aber sie log nicht. Sie hatte sich nichts ausgedacht. Und wenn diese Scheißbullen das glaubten …
Sie wischte sich die Tränen weg, ihre Wangen brannten. Sie ließ sich wieder auf den Boden sinken.
Das Foto von ihr lag jetzt in irgendeinem Labor. Sie konnte sich gut vorstellen, wie Fremde es herumgehen ließen, ihr halbnackter Körper zum Objekt degradiert wie ein Pornobild. Wie sie Sprüche machten und Punkte verteilten. Das war wie ein zweites Verbrechen. Sie versuchte sich einzureden, dass sie es mit Profis zu tun hatte, für die das Foto nichts weiter war als ein Beweisstück, von dessen Analyse sie sich Spuren und Hinweise erhofften. Aber es gelang ihr nicht. Sie begann am ganzen Leib zu zittern. Ob vor Wut oder vor Selbstmitleid, konnte sie nicht sagen. Sie wollte es auch gar nicht wissen.
Sie atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Zu konzentrieren. Ihre Finger zupften an dem Pflaster in ihrer Armbeuge herum, wo man ihr Blut abgenommen hatte. Wieder schweifte ihr Blick durch den Flur in die Zimmer. Alles, was sie sich aufgebaut hatte, der Ort, an dem sie sich sicher gefühlt hatte, war besudelt worden. Es gab kein anderes Wort dafür. Menschen, bei denen eingebrochen worden war, schilderten oft das Gefühl, fremd in der eigenen Wohnung zu sein, aber das hier war noch etwas anderes. Etwas viel Perfideres, Grausameres. Eine Art
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