Der Stalker
kurz Zeit?«
Ohne ein weiteres Wort ging sie an ihm vorbei. Sie wusste genau, dass er ihr auf den Gang folgen würde. Er würde ihr überallhin folgen. Außerdem hatte sie gesehen, dass Fiona Welch sie von ihrem Schreibtisch aus beobachtete.
»Dieser Schweinehund …« Sobald sie allein waren, machte Fenwick seinem Ärger Luft. »Der Super weiß, was passiert ist, er weiß genau, was dieser Mistkerl gemacht hat, und er lässt es ihm durchgehen, er lässt es ihm einfach durchgehen, verdammt noch mal! Oh, er hat es nicht ausdrücklich gesagt, aber ich weiß genau, wie es gemeint war. Es war sonnenklar, auf wessen Seite er steht …«
»Ben.« Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen. Er wich ihrem Blick aus, schaute auf dem Gang umher, doch sie wartete geduldig, bis er ruhiger wurde.
»Willst du das auf dir sitzen lassen? Oder willst du es ihm heimzahlen?«
»Darauf kannst du Gift nehmen! Ich will sein Gesicht sehen, wenn –«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Willst du den Fall lösen? Und dafür sorgen, dass Brennan wie der letzte Trottel dasteht?«
Er sah sie an, sagte aber nichts.
»Ich habe eine Spur, von der niemand weiß. Glaub mir, sie ist Gold wert.«
Seine Wut schien verraucht, aber Rose wusste, dass sie nicht verschwunden war. Wie ein Zug, der für kurze Zeit im Bahnhof hält, oder Krebs in Remission.
»Was für eine?«, fragte er.
Sie lächelte. »Beruhig dich erst mal, dann erkläre ich es dir.«
Er erwiderte ihr Lächeln, was ihm sichtlich schwerfiel. »Du weißt immer genau, was du zu mir sagen musst.«
»Stimmt«, sagte sie. »Komm.«
Sie führte ihn zurück in die Bar. Fiona Welchs Blicke folgten ihnen noch immer auf Schritt und Tritt.
Rose lächelte in sich hinein. Finger weg, Brillenschlange, dachte sie. Von uns beiden wird nur eine die Lorbeeren kassieren und den Boss vögeln.
Und das bin ich.
62 In Paula Harrisons Gesicht spiegelte sich eine Bandbreite an Gefühlen wider, von denen Phil hoffte, dass er sie niemals empfinden würde.
Sie stand im Eingang ihres Hauses und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Wenn sie jetzt blinzelt, dachte Phil, dann fangen die Tränen an zu fließen.
Und würden vielleicht nie mehr aufhören.
»Adele …«
»Darf ich reinkommen, Paula?«
Sie ließ ihn eintreten. Es sah genauso aus wie bei seinem letzten Besuch, nur noch schlimmer. Die Unordnung war größer, der Cartoon im Fernsehen greller und lauter, das Gefühl von Hoffnungslosigkeit noch greifbarer.
Wieder schickte Paula die kleine Nadine nach oben und wartete, auf der Sofakante sitzend, bis sich die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen hatte. Dann sah sie zu Phil. Schien darauf gefasst zu sein.
»Wir –«
Sie unterbrach ihn. »Sie ist es, stimmt’s? Die Leiche. Meine Adele …«
»Ich denke, Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen.«
Sie brach zusammen. Es waren nicht nur Tränen, ihr ganzer Körper fiel in sich zusammen, als wären ihre Knochen plötzlich zu Staub geworden, so dass sie sich nicht mehr aufrecht halten konnte.
»Ich …« Phil ging in die Küche, um Tee zu machen und sie in Ruhe weinen zu lassen.
Als er zurückkam, betupfte sie sich mit einem Papiertaschentuch die Augen und putzte sich die Nase, bis das Taschentuch nur noch ein aufgeweichter Fetzen war. Dann ließ sie es auf den Boden fallen.
»Wie … wie ist …«
»Wir gehen davon aus, dass die Leiche, die wir gefunden haben, Adele ist. Wir müssen noch einige Tests machen, aber ich wollte Sie in jedem Fall vorwarnen.«
Sie nickte geistesabwesend.
»Sobald wir hundertprozentig sicher sind, werden wir Sie bitten, die Leiche offiziell zu identifizieren. Gibt es vielleicht jemanden, der Sie dabei begleiten könnte?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Einen Verwandten? Eine Freundin?«
»Adele war meine ganze Familie. Alles, was ich noch hatte …«
»Was ist mit ihrem Vater?«
Ein dunkler Schatten legte sich über Paulas Züge. »Er ist weg.« Sie blickte Phil kurz an, sah aber sofort wieder weg. »Und Adele hat ihn sowieso gehasst. Sie würde … sie würde nicht …«
Erneut begannen die Tränen zu fließen.
Phil betrachtete die Bilder an der Wand. Die junge Adele mit ihrem Bruder. Ein Lachen, als würde der Sommer nie zu Ende gehen.
Jetzt waren beide tot.
Phil wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte. Es gab keine Worte, die es ihr leichter gemacht hätten, keine Gesten, die ihr hätten helfen können. Er rief die Angehörigenbetreuung an und bat sie, Cheryl Bland zu
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