Der Stalker
Homes under the Hammer lief.
Für die Arbeit von Suzanne und Zoe hatte er nichts als Lob übrig gehabt. Außerdem hatte er mit echter Bestürzung reagiert, als Anni ihm schilderte, was den zwei Frauen zugestoßen war. Und der wichtigste Punkt: Er hatte ein leicht nachprüfbares Alibi. Sie hatte ihm gedankt und sich so schnell wie möglich verabschiedet.
Während sie nun zurück zu ihrem Wagen ging, spürte sie die ganze Zeit über misstrauische Blicke im Rücken, wie es in abgelegenen Kleinstädten bei Fremden so üblich war, vor allem, wenn sie schwarz waren.
Ihr Handy klingelte.
Sie nahm ab. Es war Mickey.
»Hey«, sagte er. »Und? Wie läuft’s so?«
»Ganz gut«, sagte sie. »Ich klappere die Patienten von der Liste ab, wie ich gesagt habe.«
»Schon irgendwas dabei rausgekommen?«
»Bis jetzt noch nicht. Als Nächstes steht ein Exsoldat auf der Liste. Posttraumatische Belastungsstörung. Wird bestimmt ein Riesenspaß. Mal sehen, wie der so drauf ist.«
»Aha.«
»Und du?«
Er stöhnte. »Ich verliere langsam meinen letzten Rest Lebenswillen.«
Sie lachte. »Immer noch auf der Suche nach Nemo?«
»Hm …«
»Ich mochte Dory immer am liebsten. Und die Haifische.«
»Was?«
»Der Film. Sag nicht, du hast ihn nie gesehen.«
»Nein. Du hast wohl Kinder, was?«
»Neffen. Zwei.«
»Aha.«
Mickey schwieg. Anni wartete. Schließlich beschloss sie, ihm einen kleinen Schubs zu geben.
»Weswegen wolltest du denn jetzt eigentlich mit mir sprechen?«
»Ach so. Wann hast du denn Zeit?«
Sie nannte ihm die Adresse des Soldaten, der auf einem Hausboot am Hythe lebte.
»Da, wo wir die Leiche gefunden haben?«, fragte Mickey.
»Wahrscheinlich irgendwo in der Gegend. Wollen wir uns da treffen?«
Er war einverstanden. Sie machten eine Zeit aus und verabschiedeten sich.
Anni fuhr los. Sie war heilfroh, zurück in die Stadt zu kommen. Dort fühlte sie sich viel sicherer als auf dem Land.
61 Der Superintendent saß hinter Fenwicks Schreibtisch und starrte Phil mit versteinerter Miene an.
»Mein Gott, was für eine verdammte Scheiße.«
Phil sagte nichts.
Neben ihm saß Fenwick mit einer Platzwunde an der Lippe und dicker Wange. Sein Blick war nicht auf den Superintendenten, sondern auf Phil gerichtet. Phil verdeckte seine angeschwollenen Fingerknöchel mit der linken Hand.
Der Super wurde so gut wie nie mit seinem vollständigen Namen und Titel angesprochen: Chief Superintendent Brian Denton. Zumindest nicht in Colchester. Dort hieß er einfach nur »der Super«. Rein körperlich war er nicht gerade eine imposante Erscheinung, aber er verfügte über das selbstsichere Auftreten eines Mannes, der wusste, dass sein Wort galt. Mit dem zurückgekämmten grauen Haar, der tadellos sitzenden Uniform und den sorgsam kaschierten geplatzten Äderchen auf der Nase erinnerte er Phil an ein alterndes Matinee-Idol, das früher einmal den Traum gehabt hatte, nach Hollywood zu gehen und dort ganz groß rauszukommen, stattdessen aber in einer Daily Soap gelandet war. Nicht jeder konnte Chef der Metropolitan Police sein.
Aber der Super war ein erstklassiger Polizist und besaß trotz der vielen Jahre, die er nun schon hinter einem Schreibtisch verbracht hatte, immer noch seinen alten Kriminalerinstinkt.
Bei wichtigen Fällen war Phil ihm normalerweise direkt unterstellt, und der DCI auf dem Revier – in diesem Fall Fenwick – nahm eher die Rolle eines Koordinators ein. Der Super hatte schon einmal mit ihm über Fenwick gesprochen, und damals hatte Phil den Eindruck gewonnen, dass er nicht gerade große Stücke auf ihn hielt.
»Dafür müssen Köpfe rollen.«
Auch dazu schwieg Phil.
Fenwick hingegen platzte heraus: »Sir, ich habe uns nach allen Seiten hin abgesichert. Wenn die …« – er schoss einen gehässigen Seitenblick auf Phil ab –, »sagen wir, die niederen Ränge ihrer Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen wären, dann befänden wir uns jetzt nicht in dieser überaus bedauernswerten Lage.«
Phil begann rotzusehen. Seine Hände fingen an zu zittern.
Dieser Mistkerl!
Aber er schwieg nach wie vor.
Der Super funkelte Fenwick an. »Als leitender Beamter liegt die Verantwortung doch wohl bei Ihnen, DCI Fenwick?«
Fenwick errötete. »Nun ja, das mag sein, aber ich befinde mich ja nicht an vorderster Front. Meine Aufgabe ist eher organisatorischer Natur. Ich kann nicht für alles geradestehen, was da draußen vor sich geht.«
»Mit anderen Worten, Sie sind – was? Eine bessere Sekretärin? Ist es
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