Der Staubozean
zog seine mit Blitzen bemalte Staubmaske ab. Auf seinen Schläfen und den mit spärlichen Bartstoppeln bewachsenen Wangen zeichneten sich rote Streifen von den Nahtstellen der Staubmaske ab. »Ich kann dieses Bier nicht ausstehen.« Er schnüffelte und grinste dann.
»Wußte doch, daß man sich auf dich verlassen kann, John«, sagte er glückstrahlend. Er öffnete den Reißverschluß seines Seemannsanzugs und zog ein flaches Plastiketui aus einer Innentasche. In einer Ecke waren ein paar Tropfen Syncophin.
»Ich habe etwas aufgespart«, sagte er, »willst du einen Schuß?«
»Warum nicht?« erwiderte ich. Calothrick zog seine Augenpipette aus dem Gürtel.
»Ich hatte vor, hier runterzukommen und mich ein bißchen zu unterhalten«, sagte er. »Du hast es ganz schön bequem hier unten. Du mußt dich nicht mit diesem stinkenden Haufen Matrosen zusammentun. Was für eine Bande von Schweigern! Ich glaube, sie wissen gar nicht, wie man sich unterhält. Ich meine, so wie du oder ich.« Er reichte mir die Pipette. »Hier, du kannst die erste haben.«
Ich schaute auf die reichliche Dosis Syncophin, die er mir in unangebrachter Großzügigkeit gegeben hatte. »Ich setz mich wohl besser dafür«, sagte ich.
Calothrick blinzelte mir zu. »Schon ein Weilchen hier, was? O Mann, ohne das Zeug nehmen die Tage überhaupt kein Ende!«
Ich öffnete den Mund und drückte fünf Tropfen Flackern auf meine Zunge. Eine metallisch anmutende Taubheit machte sich in meinem Mund breit. Meine Augen wurden wäßrig. Ich gab Calothrick die Pipette zurück. Er schüttelte den Beutel ein paarmal und saugte eine Dosis heraus, die noch größer war als jene, die er mir gegeben hatte. Meine Sicht verschwamm plötzlich. Ich schloß die Augen.
«Traniges Glück!« meinte Calothrick mit dem traditionellen Trinkspruch der Walfänger. Seine Stimme klang unnatürlich laut. Unbewußt griff ich nach der Sitzfläche meines Stuhls.
Am Ende meines Rückgrats setzte plötzlich ein eisiges Prickeln ein. Den Bruchteil einer Sekunde später schoß ein überwältigender Stromstoß wie ein kanalisierter Blitzschlag meine Wirbelsäule hoch und explodierte in meinem Schädel. Ich spürte es ganz genau. Die Spitze meines Schädels klappte säuberlich auf, und eine kalte blaue Flamme schoß mitten durch meinen Kopf. Schockartig öffneten sich meine Augen, und die
Flamme verringerte sich zu einem gleichmäßigen, ständigen Brennen wie das Flackern eines Schweißbrenners. Der Herd, die ungesäuberten Geschirrteile, Calothricks ekstatisches Gesicht - alles schimmerte in einem unnatürlichen Glanz, als ziehe jeder Gegenstand plötzlich schiere Energie aus einer inneren Quelle. Elektrische blaue Punkte und Rhomben trieben an den Rändern meines Blickfelds. Ich schaute auf meine Hände. Auch ich glühte.
»Wie lange?« fragte Calothrick plötzlich.
»Wie lange was?«
»Wie lange, bis du etwas Flackern destillieren kannst, das uns auffrischt.«
»Ich weiß nicht«, sagte ich unter Schwierigkeiten. »Mit dem Destillieren kann ich bis morgen abend fertig sein, wenn ich mich dranhalte. Aber ich weiß nicht, wie gut es ist. Ich kenne seine Stärke nicht.«
»Oh, ich fürchte nicht, daß es zu stark sein wird«, sagte Calothrick. Er kicherte.
Ich dachte über den Topf voller Waleingeweide nach, die im nicht entzündeten Ofen langsam kalt wurden. Ich fühlte mich nicht willens, aufzustehen und den Topf wieder auf den Herd zu setzen. Es schien wie eine ungeheure Mühe, die offensichtlich meine Fähigkeiten überschritt.
»Worüber haben wir geredet?« fragte Calothrick.
Ich zögerte. »Darüber, wie stark es ist.«
»Ah ja, ich erinnere mich.«
»Einer von uns muß es zuerst ausprobieren«, sagte ich. »Es könnten Unreinheiten auftreten. Vielleicht gefährliche. Sollen wir Strohhalme ziehen?«
»Gefährlich«, sinnierte Calothrick. Er schien besorgt. Dann lächelte er. »Habe ich dir von diesem Burschen erzählt, der mich die ganze Zeit belästigt?«
»Nein. Wirst du schlecht behandelt? Hast du den Maaten davon erzählt?«
»Nein, darum geht es nicht. Es ist dieser Kerl Murphig. Ein Nullaquaner. Er ist zum ersten Mal draußen und stellt mir dauernd Fragen, weißt du - wo ich herkomme und was ich hier draußen will. Wirklich lästig. Ich meine, im Lügen bin ich nicht besonders gut.«
Eine merkwürdige Feststellung, dieser letzte Satz, dachte ich. Wenn das eine Lüge war, dann eine besonders perfekte Lüge, denn er hatte sie mit dem Anschein völliger Unschuld
Weitere Kostenlose Bücher