Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
braucht nicht darauf hinzuweisen, wie vergeblich diese Hoffnung war.
»Ich mache mich jetzt auf den Weg zu meinem Vater«, erklärte Dagnarus nach einem weiteren kritischen Blick in den Spiegel. »Wünsch mir Glück, Silwyth.«
»Das tue ich, Herr«, entgegnete der Kämmerer. »Ihr werdet es brauchen«, fügte er hinzu, aber in Elfisch, einer Sprache, die der Prinz nie gelernt hatte.
Ein Herzenswunsch
»Verehrter Vater, ich grüße Euch«, sagte Dagnarus und trat mit wehendem Mantel ins Arbeitszimmer des Königs, was die Papiere auf den Schreibtischen flattern ließ wie bei einer plötzlichen Windbö.
Als er auf den König zuging, verhedderte sich der wehende Stoff in einigen Büchern und zerrte sie von ihren Plätzen auf den Tischen. Seine lauten Schritte brachen die nachdenkliche Stille, und die lebhafte Energie des Prinzen schien mit dem Feuer darum wettzueifern, wer wohl schneller und heller brennen konnte. Dagnarus störte den Frieden des königlichen Arbeitszimmers ebenso wirkungsvoll, als hätte man einen Armbrustbolzen durchs Fenster geschossen. König Tamaros blickte mit einem freundlichen, nachlässigen, wenn auch ein wenig bestürzten Lächeln auf. Obwohl der Anblick seines hübschen Sohnes ihn wärmte wie gewürzter Wein, war sich Tamaros jedoch nie sicher, wie er diesen Wein vertragen würde. In seinem Alter, beinahe neunzig, neigte der König dazu, Verlässlichkeit und Stabilität zu schätzen. Nicht einmal Dagnarus' Bewunderer – von denen es viele gab – hätten diese beiden Begriffe in Verbindung mit dem Prinzen benutzt.
»Ich grüße dich, mein Sohn«, sagte Tamaros und legte seine Arbeit beiseite.
Die Aussicht aus dem Zimmer war spektakulär und zeigte die Welt in allen Himmelsrichtungen, die Berge, die Ebenen, die große Stadt, die hinreißenden Wasserfälle mit ihren Regenbogentüchern und über allem die blaue Himmelskuppel und die strahlende Sonne. Der König hatte diesen Raum nun ein Leben lang jeden Tag betreten, aber immer noch blieb er als Erstes stehen und sah ehrfürchtig nach draußen, demütig und voller Dank für die Gnade der Götter. Dagnarus hatte für die Welt nicht einmal einen Blick übrig und beschwerte sich sogar, dass es viel zu hell sei.
»Wie kannst du hier lesen, Vater? Das Sonnenlicht ist so intensiv, dass es mich halb blind macht.« Der Prinz hockte sich auf die Kante des Schreibtischs seines Vaters und verschob dabei noch mehr Bücher und zerknitterte noch mehr Papiere. Dann setzte er eine ernste Miene auf und sprach leiser weiter. »Ich fürchte, ich habe traurige Nachrichten für dich, Vater, falls du es noch nicht gehört hast.«
»Ich habe nichts gehört«, erwiderte Tamaros besorgt. Er legte ein Lesezeichen in sein Buch und klappte es zu. »Was ist denn, Sohn?«
»Lord Donnengal ist tot«, berichtete Dagnarus scheinbar bekümmert. »Ich dachte, du würdest es wissen wollen, sodass du seiner Familie kondolieren kannst. Ich bin gekommen, sobald ich es gehört habe.«
»Das sind tatsächlich schlechte Nachrichten«, meinte Tamaros ehrlich bedrückt. »Wie ist das passiert?«
»Er war auf der Jagd – ein Sport, der ihm, wie du weißt, immer viel Freude bereitet hat –, und plötzlich fasste er sich an die Brust, stieß einen lauten Schrei aus und fiel vom Pferd. Sein Knappe und der Stallknecht taten, was sie konnten, schnürten seine Weste auf und lockerten den Gürtel, aber es gab keine Hilfe mehr. Sein Herz hat aufgegeben, sagt man.«
»Ein gesunder und kräftiger Mann«, sagte Tamaros. »Ein Mann in den besten Jahren.«
»Also wirklich, Vater«, meinte Dagnarus amüsiert. »Lord Donnengal war mindestens sechzig.«
»Tatsächlich?« Tamaros blickte sehnsüchtig auf. »Wahrscheinlich hast du Recht.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich möchte die Entscheidung der Götter nicht in Frage stellen, aber es kommt mir so vor, als hätte ich zu lange gelebt. Die Freunde meiner Jugend sind tot, und nun entzünde ich die Scheiterhaufen ihrer Kinder.«
Er faltete die Hände, senkte den Kopf und flüsterte ein leises Gebet, dass die Götter seinen lieben und hoch geachteten Freund gut aufnehmen sollten. Dagnarus glühte zwar vor Ungeduld, war aber vernünftig genug, den Mund zu halten und seinem Vater Zeit zum Trauern zu lassen. Nach einiger Zeit wurde er allerdings ruhelos und brach das Schweigen.
»Ich frage mich, Vater, ob du schon daran gedacht hast, dass Lord Donnengals Hinscheiden einen Platz in den Reihen der Paladine frei werden
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