Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
losreißen.
Valura hörte den Kampf nicht, sie hörte nicht die Schreie der Wachen des Schilds oder der Sterbenden. Diese Sterblichen waren ihr gleichgültig. Für sie waren sie wie Insekten, und ob sie lebten oder starben, berührte sie nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Stein der Könige und nichts anderem. Sie hielt die Kristallkugel in ihren Händen und starrte wie gebannt das glitzernde Juwel darin an.
»Ich habe den Stein!«, rief sie.
Dagnarus' Begeisterung, sein Triumph, seine Freude durchdrangen sie und brachten Erinnerungen an längst vergangene Zeiten zurück, als sie selbst es gewesen war, die ihm diese Freude geschenkt hatte. Diese Erinnerungen waren nun bitter und schmerzerfüllt, und dennoch klammerte sie sich an sie, denn sie waren die letzte Verbindung mit dem, was sie einmal gewesen war. Sie wollte gerade die Kristallkugel zerschmettern und nach dem Stein greifen, als sie Damras Warnruf hörte.
»Silwyth! Hinter Euch!«
Silwyth! Dieser Name gehörte zu Valuras schmerzlichsten Erinnerungen. Silwyth, Dagnarus' Kämmerer, hatte ihnen geholfen, sich zu treffen. Er hatte Liebesbriefe hin und her transportiert, hatte ihr Geschenke ihres Geliebten gebracht. Silwyth hatte Valura dabei geholfen, ihren Mann zu betrügen. Silwyth, der sie um dessentwillen liebte, was sie einmal gewesen war, und sie für das bedauerte, was aus ihr geworden war.
Sein Mitleid. Sie hatte sein Mitleid jedes Mal bemerkt, wenn sie ihm in die Augen gesehen hatte, und sie hasste ihn dafür, selbst nach all diesen Jahren. Sie konnte Dagnarus' Abscheu gegenüber dem, was sie geworden war, ertragen, obwohl es ihr wehtat, wie nichts anderes, nicht einmal der Todesschmerz, ihr wehgetan hatte. Silwyths Mitleid jedoch war unerträglich.
Valura wandte sich von dem Stein der Könige, den sie in Händen hielt, dem alten Elf zu. Silwyth stand hinter ihr und balancierte vorsichtig auf den Steinstufen, die über den Trickboden führten.
Lady Godelieve verschwand, die Illusion war vergessen. An ihrer Stelle stand der Vrykyl.
Eine Rüstung, finsterer als die dunkelsten Tiefen ihres Hasses, strömte über Valuras zum Skelett verfaulten Körper. Nadelscharfe Stacheln schossen aus ihren Knochenhänden und ihren Schultern hervor. Der schreckliche Helm mit dem Gesicht des ewig gierigen Todes bedeckte ihren Schädel und verlieh den leeren Augenhöhlen Feueraugen.
Silwyth war uralt, eingesunken und faltig, so dass sie ihn beinahe nicht wieder erkannt hätte. Aber sie wusste, dass sie Silwyth vor sich hatte. Denn sie sah das Mitleid in seinen Augen.
Valura warf die Kristallkugel auf die Plattform, auf der sie stand. Die Kugel zerbrach. Umgeben von scharfen Kristallscherben lag der Stein der Könige glitzernd zu ihren Füßen. Valura achtete nicht auf den Stein; er gehörte ihr nun ohnehin. Sie zog ihr Schwert und griff Silwyth an.
Sie riss die Waffe mit einer raschen Bewegung abwärts, die ihren Feind in Stücke hätte schneiden müssen. Silwyth hätte tot sein sollen, aber er war es nicht. Die Klinge traf den Boden mit solcher Wucht, dass Funken flogen und die Steine barsten. Die Klinge hatte Silwyth verfehlt.
Ein Schlag von Silwyths Stock traf Valura in den Rücken und hätte sie beinahe von der Plattform geworfen.
»Du hast mich schon zu lange gejagt und verfolgt«, fauchte sie und drehte sich um, um seinem Leben ein Ende zu machen. Geblendet von ihrem Zorn schlug sie abermals mit dem Schwert nach ihm. Er wich dem Schlag erstaunlich gewandt aus. Sie griff weiter an, schwang das Schwert. Die heftigen Schläge trieben ihn rückwärts. Kristallsplitter knirschten unter seinen nackten Füßen.
»Ich habe dich immer gespürt, Silwyth«, sagte Valura zu ihm und bedrängte ihn weiter. »Du hast mich verfolgt, du hast versucht, meine Pläne zu vereiteln.« Wieder schlug sie zu, trieb ihn einen weiteren Schritt zurück. »Nun hast du die Wahl. Stirb von meinem Schwert oder auf den Eisenstacheln dort unten.«
»Ihr irrt Euch, Lady Valura«, sagte Silwyth, und seine Stimme war sanft vor Mitgefühl – er sollte Millionen Mal verflucht sein! »Ich habe Euch all diese Jahre gesucht, um Euch ein Geschenk zu übergeben.«
»Und was soll das sein?«, rief sie und schlug wieder zu.
Er duckte sich unter dem Schwert durch. Dann griff er nach einer langen, scharfen Kristallscherbe und stach sie Valura tief in den Bauch.
»Der Tod.«
Die Kristallscherbe durchdrang die Rüstung des Vrykyl und fuhr tief in einen Körper, der schon lange verwest war.
Die
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