Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
schwieg, denn er wollte nicht mit ihr streiten. Nach seiner Ansicht waren die Götter – falls sie überhaupt existierten – launisch und abgebrüht und taten, was ihnen gerade passte.
Die Großmutter schlug ihm mit der Handfläche gegen die Stirn.
»Wofür war denn das?«, fragte Shadamehr verblüfft.
»Ihr seid ein verwöhntes Kind, Baron Shadamehr«, erklärte die Großmutter streng. »Ihr habt alles bekommen, was Ihr wollt, und dennoch wälzt Ihr Euch im Dreck und heult und jammert und strampelt, weil Ihr noch mehr wollt. Ich weiß nicht, wieso die Götter das überhaupt mitmachen.«
Sie drängte sich an ihm vorbei, und ihre Steine klickten, und die Glöckchen klingelten. Dann blieb sie an der Tür zum Lagerraum noch einmal stehen und drehte sich zu ihm um. »Sie müssen Euch sehr lieben.«
Shadamehr hatte seine Zweifel, was das anging, und im Augenblick war es ihm gleich. Aber die Götter liebten Alise, so wie er es tat, und das war alles, was er wissen musste. Er nahm sie in die Arme, drückte sie an sich und genoss die Wärme, die nun wieder durch ihren Körper floss.
»Herr«, sagte Ulaf und hockte sich neben ihn. »Wir müssen …«
»Sie wird weiterleben!«, sagte Shadamehr und zog Alise fester an sich.
Sie murmelte im Schlaf etwas vor sich hin und schmiegte sich an ihn – etwas, das sie nie getan hätte, wenn sie bei vollem Bewusstsein gewesen wäre.
»Den Göttern sei Dank!«, erklärte Ulaf erfreut. »Aber Herr, wir müssen darüber nachdenken, was wir nun tun sollen. Dagnarus' Taanarmee mag noch nicht hier sein, aber sie wird bald kommen. Wir wollen doch nicht in einer belagerten Stadt festsitzen.« Er wusste allerdings, wie unberechenbar sein Herr war, und hielt es für besser hinzuzufügen: »Oder?«
»Nein«, sagte Shadamehr entschlossen. Sein Hirn arbeitete endlich wieder. Er fühlte sich stark genug, um zu schwimmen, selbst gegen diese dunkle Flut, die ihn zu ertränken drohte. »Im Hafen wartet ein Orkschiff auf uns. Ich habe Damra von Gwyenoc und ihren Mann dorthin geschickt. Die Orks haben Befehl, bis zum Morgengrauen zu warten, bevor sie in See stechen. Ich werde Alise, den Trevinici und die Großmutter mit an Bord nehmen. Inzwischen werdet ihr anderen über Land reisen, den Paladinen Botschaften überbringen, ihnen mitteilen, was geschehen ist, und ihnen ausrichten, dass wir uns in Krammes mit ihnen treffen. Dort befindet sich die Königliche Kavallerieakademie. Wir haben den Teil des Steins der Könige, der den Menschen gegeben wurde. Das muss doch für irgendwas gut sein. Wir können eine Armee aufstellen und zurückkehren, um dem Lord der Leere Neu-Vinnengael wieder abzunehmen.«
»Ihr glaubt, die Stadt wird fallen?«
»Ja«, antwortete Shadamehr schlicht.
»Wie soll ich die Paladine finden? Ich kenne einen von ihnen, Lord Randall, aber …«
»Rigiswald kennt sie alle. Er ist im Tempel und macht sich über den Stein der Könige kundig. Wahrscheinlich ist er immer noch dort. Du weißt ja, wie es ist, wenn er seine Nase erst einmal in einem Buch hat. Nimm ihn mit.«
»Also wirklich, Shadamehr, ich glaube, ich wäre lieber mit einem Vrykyl unterwegs!«, protestierte Ulaf, und er meinte es ernst. »Dieser Mann ist der streitsüchtigste alte Knabe, den es je gab. Er hat eine Zunge, mit der man kleine Bäume fällen könnte.«
»Dann werdet ihr immer genug Feuerholz haben«, sagte Shadamehr. »Es tut mir Leid, alter Junge, aber Rigiswald ist der Einzige, der dir bei dieser Sache helfen kann. Er kennt die Paladine und weiß, wo sie sich aufhalten.«
»Also gut«, sagte Ulaf mürrisch. »Ich gehe und hole die anderen. Ihr habt nicht vergessen, dass Ausgangssperre verhängt wurde?«
»Das ist der Grund, wieso die Götter die Kanalisation erfunden haben«, meinte Shadamehr. »Ich werde auf diese Weise reisen. Und du?«
»Ich werde Rigiswald niemals in einen Abflusskanal kriegen, und das wisst Ihr auch. Aber es gibt einen Torwächter, der mir noch einen Gefallen schuldet«, erläuterte Ulaf mit einem Zwinkern. »Passt gut auf Euch und auf Alise auf, Mylord. Ich kümmere mich um die anderen, auch um Rigiswald.«
»Hervorragend. Und nun bitte diese gute Frau um ein paar Decken. Ich will Alise warm einpacken.« Als Shadamehr in den Hauptraum der Schänke schaute, wurde seine Miene weicher. »Wir werden auch ein Leichentuch brauchen.«
»Ich trage die Verantwortung für Bashae«, sagte Jessan angespannt. »Für ihn und die Großmutter.«
Shadamehr und Ulaf wechselten verblüffte
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