Der Stein der Wikinger
trieb sie auf den Kurs von Leif Eriksson und der Küste von Helluland entgegen. Der Steuermann stemmte sich gegen die Ruderpinne und hielt den neuen Kurs.
Hakon verdrängte die Gedanken an seinen Todfeind und genoss die beinahe unheimliche Stille. Erst nach Mitternacht frischte der Wind auf und zauberte weiße Schaumkronen auf die immer höher steigenden Wellen. Kalte Böen bliesen ihnen in den Nacken. Doch Thorwald war ein erstklassiger Seemann. Er hatte das Talent, bei jedem Wetter den richtigen Kurs zu finden, von seinem Vater geerbt und segelte parallel zum Nordstern der unsichtbaren Küste von Helluland entgegen. Die Knorr flog über das Meer, schmiegte sich nah an die dunklen Wellen des aufgewühlten Meeres. Der Wind fing sich im Segel und dehnte die Taue fast bis zum Zerreißen.
In Küstennähe gerieten sie in ruhigeres Wasser. Die Wolken rissen auf und gaben den Blick auf den blauen Himmel frei, sogar die Sonne kämpfte sich durch und schickte ihre Strahlen auf das einsame Schiff herab. Eher gemächlich trieb die Knorr im Wind, auf stetigem Kurs nach Südwesten. Kreischende Möwen kündigten die Küste an, die bald darauf aus dem orangefarbenen Dunst tauchte und sich als trostlose Steinwüste am Horizont entlangzog.
»Helluland«, sagte Hakon, der mit Edwin auf Freiwache war und Dauerquark mit getrockneten Beeren aus einer Schüssel löffelte. »Genauso trostlos, wie Leif es beschrieben hat.« Er blickte dennoch nach Westen und suchte die Küste ab, als könnte die ersehnte Frau schon dort auftauchen.
Doch weder in Helluland noch im weiter südlich gelegenen Markland entdeckten sie Menschen, obwohl sie an einem der sandigen Wunderstrände an Land gingen, die nähere Umgebung erforschten und eine warme Mahlzeit zubereiteten. Nachdem sie sich gestärkt hatten, fuhren sie weiter, dem Wetter zum Trotz, denn der Himmel war wieder bedeckt, und der kühle Nieselregen wie in ihrer Heimat zwang sie, die warme Kleidung aus den Kisten zu holen. Sie verbrachten eine Nacht auf dem Schiff, lauschten dem Knarren des Segels, dem Rauschen des Meeres und dem Kreischen der Möwen, die sich ständig um Fischreste stritten, und hielten Ausschau nach der Flussmündung, die Leif ihnen genau beschrieben hatte. Von dort sollte es nur eine Tagesreise nach Vinland sein.
Die Mündung tauchte im Morgengrauen aus dem Dunst auf. Ein mächtiger Felsen markierte die Stelle, dahinter ragten Fichten auf, wie sie manche der Männer seit vielen Wintern nicht mehr gesehen hatten. Etliche Schiffslängen weiter südlich waren die bewaldeten Hänge des anderen Ufers zu erkennen. Aus dem Wasser sah der kuppelförmige Felsen hervor, den Leif ihnen als markanten Punkt genannt hatte. »Fahrt vor dem Kuppelfelsen nach Westen und bleibt auf dem Fluss, bis ihr am südlichen Ufer unsere Hütten seht«, hatte er gesagt.
Hakon fühlte sein Herz schneller klopfen, als Thorwald die Männer an die Ruder rief und den Befehl gab, in die Flussmündung zu fahren. Das bewaldete Land, das sich zu beiden Seiten des Flusses erstreckte und das man im morgendlichen Dunst nur schattenhaft erkennen konnte, war Vinland. Sein Blick tastete sich an den Schatten entlang, erkannte Bäume, Felsen und Lichtungen in dem Dunst. Es gab viele Anzeichen von Leben. Silbern glänzende Fische, die übermütig aus dem Wasser sprangen und wieder darin verschwanden. Einige Rehe, wie er sie aus Danmark kannte, die auf einer Lichtung standen und sofort davonsprangen, als sie das Schiff bemerkten. Ein riesiger Vogel mit breiten Schwingen, der ruhig über den Bäumen kreiste und sie zu beobachten schien.
Nur Menschen waren nicht zu sehen. Hatte Leif recht, gab es tatsächlich keine Menschen in diesem Land, nicht einmal Wilde? Wären sie nicht zum Ufer gekommen, sobald sie das rot-weiße Segel gesichtet hätten? Oder versteckten sie sich im Unterholz, um sie mit Speeren und Pfeilen zu empfangen, sobald sie an Land gingen? Wie alle anderen Männer beobachtete Hakon die Ufer mit größter Wachsamkeit, jederzeit bereit, nach seinem neuen Schild und seinem Schwert zu greifen. Edwin hatte eine Kriegsaxt, die er dem Schmied in Brattahlid abgekauft hatte, in seinem Gürtel stecken. Doch nichts geschah, sie ruderten durch ein menschenleeres Land, umgeben von feuchtem Dunst, der sich kühl auf ihre Gesichter legte.
Niemand wagte in dieser angespannten Stille laut zu sprechen, doch als die Häuser von Leifsbudir am Ufer auftauchten, gab es kein Halten mehr, und die Männer jubelten vor Freude,
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