Der steinerne Engel
ist der Hund hochgesprungen und mit dem Kopf in die Scheibe gedonnert. Und dann hab ich diese Schmerzen in der Brust gekriegt. Ich war auf dem Rückweg in die Stadt, als ich sie über die Straße laufen sah.«
»Mallory?«, fragte Riker.
»Kathy«, sagte Travis. »Sie sah genauso aus wie ihre Mutter. Mir war, als ob mich ein Blitz getroffen hätte, und ich bin mit dem Wagen von der Fahrbahn abgekommen. Kathy hat mir das Leben gerettet. Hätte sie mich bloß sterben lassen!«
»Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen«, erwiderte der Sheriff. »Warum hat der Mob Kathys Mutter umgebracht?«
»Das weiß ich nicht. Cass war hinter mir her. Aber es war ein Irrtum, das schwöre ich bei Gott. Sie ist in die Sitzung geplatzt und hat gesagt...« Seine Hände flatterten.
»Was für eine Sitzung?«
»Aber ich hab nie einem Kind was getan. Ich weiß nicht, warum sie ...«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine Bande von Mördern zusammengetan hat, um eine Pfeife wie Sie vor einer Anklage wegen Kindesmissbrauchs zu bewahren. Die Wahrheit, Travis!«
»Ebenso gut könnten Sie den Hund fragen.« Travis fielen die Augen zu.
Der Sheriff packte ihn bei den Schultern. »Stirb mir nicht weg, du Dreckskerl.« Wütend schüttelte er den schmächtigen Körper: »Warum hast du Cass umgebracht?« Er musste schreien, um sich über dem Lärm des Monitorwarnrufs verständlich zu machen.
Die Frage blieb unbeantwortet. Mit einer Nulllinie und einem unüberhörbaren Signalton verkündete der Monitor, dass er jetzt an einen Toten angeschlossen war. Die anderen Maschinen bestätigten, dass das Herz aufgehört hatte zu schlagen. Der Arzt trat ans Bett, legte die Schalter um und unterbrach die Sauerstoffversorgung. Dann sah er auf seine Armbanduhr und notierte auf dem Krankenblatt, wann genau der Tod eingetreten war.
Hinter der Tankstelle nahm Charles das Gas weg. Mallory sah durchs Heckfenster. »Der Wagen hält. Er ist nicht hinter uns her, Charles. Los, fahr weiter.« Sie behielt die Tankstelle noch ein paar Minuten im Auge, während sie in Richtung Highway rasten.
Das Zuckerrohr rechts und links der Straße wiegte sich im Wind wie ein weites grünes Meer, dessen Wellen sich kräuseln. Vor ihnen am Horizont erhob sich ein hässliches Bauwerk mit dem Logo einer Chemiefirma. Die friedlich grünen Zuckerrohrfelder reichten ganz nah an dieses dürre Monster aus hoch aufragenden schwarzen Rohren und Trägern aus Stahl heran, an dieses Gespenst aus der Zukunft, diesen Vorgeschmack auf das Ende der Welt. Aus den Schornsteinen stieg weißer Rauch auf. Charles wusste, dass das harmlose Weiß täuschte. Das, was dort in die Luft entwich, war Gift für Augustas Vögel. Er konnte jetzt gut verstehen, warum sie so wild entschlossen war, ein Refugium für sie zu schaffen.
Es war ein lohnender Kampf.
Er bog in eine Nebenstraße ein und folgte einem Schild, das den Weg zum Krankenhaus wies. »Wieso glaubst du eigentlich, dass sie die Unterlagen so lange aufgehoben haben? Werden sie nicht in den meisten Krankenhäusern nach zehn Jahren vernichtet?«
»Heute nicht mehr. Die Computer haben das Lagerproblem gelöst.« Jetzt standen sie vor dem Krankenhaus, einem nichts sagenden rechteckigen Gebäude. »Augustas Lieblingskassiererin im Supermarkt verdient sich was dazu, indem sie die alten Texte in eine Datenbank einscannt. Hätte sie ein bisschen schneller gearbeitet, hätte ich mir alles auf meinen Laptop laden können.«
Er wurde langsamer und deutete auf den Wagen des Sheriffs, der gleich am Eingang stand. »Wir könnten später noch mal wiederkommen.«
»Nein, ich brauche das Zeug jetzt. Mach dir keine Sorgen, Charles, keiner wird sich was dabei denken. Du hast doch Riker gesagt, dass du Alma besuchen willst, oder?«
»Ja - und du?«
In ihrer Verkleidung als elegante Reiterin aus dem vergangenen Jahrhundert musste sie überall auffallen. Der schwarze Mantel war so lang, dass man nur die Reitstiefel und einen schmalen Streifen Jeans sah. Auch der schwarze Hut mit dem breiten Rand, der vage an einen Cowboyhut erinnerte, wirkte wie aus einem Kostümverleih. Ein schwarzes Tuch unter dem Hut verbarg die blonden Haare. Etwas Unpassenderes als die Pilotensonnenbrille zu diesem Aufzug war kaum vorstellbar, aber gerade dadurch wirkte er noch bedrohlicher. Charles dachte, dass diese Tarnung mehr über Mallorys Charakter aussagte, als ihr lieb sein konnte.
»Bildest du dir wirklich ein, Jessop und Riker würden dich nicht erkennen?« Ein
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