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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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helfen, Abbitte zu leisten. Als er Alma Furguesons Krankenzimmer betrat, war der Sheriff gegangen, und am Bett saß die füllige Besitzerin von Jane's Café und zwängte mit ihren dicken Fingern zarte Wildblumen in ein Wasserglas.
    »Einen schönen guten Tag«, sagte Jane herzlich wie eine alte Bekannte, obgleich sie noch nie ein Wort miteinander gewechselt hatten. »Ich hab schon gehört, dass Sie wieder da sind. Wie nett, dass Sie Alma besuchen kommen.« Sie beugte sich über die Frau im Bett und wiederholte den Satz, als hätte Alma keine Augen und als seien diese Augen nicht wie gebannt auf den langen Menschen gerichtet, der über ihr aufragte.
    »Sag deinem Besucher guten Tag, Alma.« Jane nahm ihm die Blumen ab und arrangierte den Strauß im Wasserkrug, wobei sie ungerührt die langen schlanken Stengel abbrach und die Blütenblätter zerquetschte, um alle Blumen unterzubringen. Das Wasser quoll über den Rand und verschmierte die Tinte auf Almas einziger Karte mit Genesungswünschen, die von Jane unterschrieben war.
    »Das tut mir alles sehr Leid, Miss Furgueson.« Charles zog sich einen Stuhl heran und setzte sich Jane gegenüber ans Bett. »Ich weiß, es hatte etwas mit einem Engel auf dem Friedhof...«
    »Hatte es nicht«, antwortete Jane für Alma. »Das macht sie mindestens einmal im Jahr, sie ist nämlich nicht ganz richtig im Oberstübchen. Sagen Sie einfach Alma zu ihr, das machen wir alle.«
    Charles wandte sich wieder Alma zu. »Ich war auf dem Friedhof, als Sie ...«
    »Ein toller Anblick, was?«, sagte Jane. »Die ganze Stadt muss hingeströmt sein. Aber Engel hin, Engel her, die Pulsaufschneideshow war einfach wieder mal fällig.«
    Charles betrachtete die verbundenen Handgelenke. Unter den weißen Binden ragten alte Narben hervor. Demnach war das tatsächlich ein Ritual für Alma. Sein schlechtes Gewissen beschwichtigte diese Erkenntnis allerdings wenig. Wenn sie nun gestorben wäre?
    »Sie sind Mitglied der Neuen Kirche, nicht wahr?«, fragte er in einem neuen Anlauf, mit der Frau im Bett ins Gespräch zu kommen.
    »Die in Owltown gehören alle zur Neuen Kirche«, erwiderte Jane. »Ich hab nach Kräften versucht, Alma davon abzubringen, sie war nämlich früher eine fromme Katholikin. Dass sie der Neuen Kirche ihr Haus überschrieben hat, war heller Wahnsinn.« Sie verzog angeekelt den Mund.
    Alma starrte ihn mit großen Augen an. Er wusste nicht recht, woran er mit ihr war. Hatte sie Angst vor ihm, oder freute sie sich über den Besuch? Wieder betrachtete er die Narben, die auf eine tief gehende seelische Störung hinwiesen.
    »Soll ich lieber gehen?«, fragte er Alma.
    »Auf keinen Fall«, antwortete Jane.
    Alma ließ ihn nicht aus den Augen. Als er lächelte, erwiderte sie das Lächeln. Verrückte mochten ihn, das war sein Schicksal. Wenn sie sein törichtes Lächeln sahen, glaubten sie, einen der ihren vor sich zu haben.
    Er legte eine Hand auf die von Alma. »Vielleicht sollten Sie sich jetzt ausruhen.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen um Alma«, meinte Jane. »Sie ist nur ein bisschen mitgenommen, weil der Sheriff sie mit tausend Fragen über eine Sitzung gequält hat. ›Was war mit dieser Sitzung‹, hat er sie angebrüllt, als wenn sie taub wäre. Die arme Alma ist leichenblass geworden. Aber inzwischen hat sie sich schon wieder gefangen.«
    »Was für eine Sitzung?«, fragte Charles.
    »Nichts Besonderes«, erklärte Alma. »Eine Sitzung des Verwaltungsrates, das habe ich ihm auch gesagt. Es ging um Reparaturen am Zelt und den Haushalt für die Versandkataloge. Und dann kam Cass herein.«
    »Alma hat einen Posten im Verwaltungsrat der Neuen Kirche bekommen, nachdem sie denen ihr Haus überschrieben hatte.«
    Charles musterte Alma. »Was wollte Cass Shelley bei der Sitzung?«
    Alma warf einen Blick auf das zweckentfremdete Wasserglas und den Wasserkrug. »Könntest du mir ein Glas Wasser holen, Jane?«
    Während Jane sich auf die Suche nach einem leeren Glas machte, legte Alma ihre Hand auf Charles Butlers Arm. »Jane sagt, dass Sie gut mit Malcolm befreundet sind.«
    »Wir haben uns in ihrem Café kennen gelernt. Allerdings bin ich nicht...«
    »Und ich habe Sie neulich in dem Gedenkgottesdienst in der ersten Reihe gesehen. Hinter dem roten Absperrseil.« Jetzt umklammerte sie sein Handgelenk so fest, dass die Nägel sich in seine Haut gruben. Ihre Augen glänzten fiebrig. »Ich hab dem Sheriff nichts von dem Brief erzählt.«
    Schon wieder der Brief... Was hatte Ira darüber gesagt?

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