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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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Schritte zum Zellentrakt hoch stapften und hastig wieder herunterpolterten.
    Ein Mann tauchte in der Tür auf und berichtete atemlos: »Da oben ist alles leer. Vielleicht hat sie es richtig mitgekriegt, und sie haben ihn tatsächlich laufen lassen.«
    Was Ray antwortete, hörte Riker nicht mehr. Ein Schlag von hinten hatte ihn niedergestreckt. Als er die Augen wieder aufschlug, lag er auf dem Boden. Halb bewusstlos registrierte er, dass er durch die Hintertür des Sheriffbüros geschleppt wurde.
    »Das kauf ich dir nicht ab. Idioten können doch gar nicht schreiben«, sagte der Mann, der seine Beine hielt, zu dem Mann, der seine Arme gepackt hatte. Der Rest des Gesprächs entging Riker.
    Zeit für ein Nickerchen.
     
    Bei Sonnenuntergang waren die Fledermäuse von Trebec House ausgeflogen. Ira verfolgte ihren Weg über das Stück Himmel, das er vom Friedhof aus sehen konnte, dann wandte er sich wieder der Statue von Dr. Cass zu.
    Seine Mutter hatte ihm etwas Falsches erzählt. Das war die Figur, die er kannte - Dr. Cass mit Kathy im Arm -, und sie stand da, wo sie seit jeher gestanden hatte. Allerdings waren da Veränderungen, die es zu verarbeiten galt: Räderspuren und Kies auf dem Rasen und abgebrochene Äste an den tief hängenden Zweigen.
    Von den Bäumen flogen die Vögel auf und bewegten die Luft um ihn herum.
    »Du bist also der Zeuge«, sagte eine Stimme hinter ihm. Für Ira war es ein Geräusch ohne Sinn. Erschrocken wandte er sich um. Über den Kiesweg kam ein Mann auf ihn zu.
    »Du bist also der Zeuge«, wiederholte Ira verständnislos und flüchtete sich zu den steinernen Falten des Engelsgewandes.
    Der Mann wurde, je näher er kam, immer größer. Die erhobenen Hände waren zu Fäusten geballt. Ira ließ sich ins Gras fallen, zog Arme und Beine an und den Kopf ein wie eine Schildkröte. Der erste Hieb war nur eine unwillkommene Berührung, dann aber folgte Schlag auf Schlag, und bald drang der Schmerz in ihn ein wie rote Farbe in reines Weiß, bohrte sich peinigend scharf in sein Hirn.
    Jetzt wurde er mit Tritten traktiert. Seine Angst war ein Feuerball, der erst grell leuchtete, dann immer matter, immer grauer wurde und schließlich erlosch. Sein Gesicht war nass. Blut war in seinen Augen.
    Er begriff, was geschah. Babe hatte ihn angeschrien und geohrfeigt, als er ein paar vertraute Töne auf dem Klavier gespielt hatte. Und dann hatte Babe ihm die Hände gebrochen. Doch als die Musik verstummt war, hatte auch der Schmerz aufgehört. Jetzt summte er die Töne, die er gespielt hatte, während Cass starb.
    Das brachte seinen Angreifer in Wut, und die Schläge wurden immer brutaler.
    Seltsam vertraut war das alles.
    Und nun wehrte sich Ira gegen seinen Angreifer mit dem ganzen Stück, seine Stimme begleitete den Schmerz mit Horn und Flöte, eine Partitur der Gewalt.
    Und als das Stück zu Ende war und er sich nicht mehr rührte, hörte auch die Gewalt auf - so wie Babe aufgehört hatte.
    Ira hatte seine Lektion gut gelernt.

25
    Noch mit geschlossenen Augen erkannte Riker die Bar in Owltown, in der er als Gast der Neuen Kirche mit den Gläubigen getrunken hatte. Er spürte das raue Holz unter seinen Händen und seinem Gesicht. Zwei Tage zuvor hatte er sich die gleiche miese Musik aus der Jukebox anhören müssen. Jetzt war sie gedämpft, demnach lag er in einem Nebenzimmer. Ganz ungedämpft hingegen war der schale Geruch nach Bier und Schweiß. Er hielt die Augen geschlossen, während er die Stimmen zählte. Drei Mann.
    »Aufwachen, Freund.« Ein Stoß mit der Stiefelspitze gegen die Rippen verlieh der Aufforderung zusätzlichen Nachdruck.
    Riker öffnete die Augen und sah zu dem einzigen Fenster hoch, durch das man ein Stück dämmrigen Himmel erkennen konnte. Er war mindestens fünf Stunden ohne Besinnung gewesen - eine willkommene, wenn auch unfreiwillige Ruhepause, die mit einer schmerzenden Schläfe nicht zu teuer bezahlt war.
    Zwei Männer saßen an einem kleinen quadratischen Tisch, Ray Laurie stand breitbeinig über Riker und machte eine Flasche auf. »Mr. Riker braucht einen Drink. Viele Drinks«, sagte er zu dem Mann mit der Flinte, während er Whiskey in ein Schnapsglas schenkte. Der zweite Mann hatte Rikers Dienstwaffe in der Hand. »Passt auf, dass er sich an dem Zeug nicht zu lange festhält, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
    Ray beugte sich zu Riker hinunter. »Los, trink!«
    »Warum nicht?« Riker setzte sich auf und feixte. »Davon hab ich schon immer geträumt: das mich jemand mit

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