Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
Vom Netzwerk:
alkoholisierte Beute gemacht. Der Betrunkene war erstaunlich fügsam. Hatte sie ihn zu grob angefasst? Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er deutlichen und empörten Widerstand geleistet hätte, um den Sheriff mehr zu beeindrucken.
    Sie packte den Gefangenen an einem Arm und bugsierte ihn die Treppe hinauf zum Zellentrakt. Dort griff sie in ihre Tasche, um den Schlüssel herauszuholen, und warf dabei zufällig einen Blick in die mittlere Zelle.
    Mallory war weg.
    An der Rückwand der verschlossenen Zelle stand der Sheriff mit leerem Holster. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und beobachtete durch das vergitterte Fenster die Fußgänger in der schmalen Gasse. Er hätte um Hilfe rufen können, aber er schwieg.
    Das konnte Lilith nachvollziehen. Auch sie hätte, als sie ihre Waffe verloren hatte, niemanden dabeihaben wollen.
    Jetzt drehte der Sheriff sich um und sah seine Stellvertreterin. Lilith warf einen raschen Blick auf ihren Gefangenen, der den Sheriff noch nicht bemerkt hatte und mit leerem Blick zur Decke starrte. Vielleicht erhoffte er sich Rettung von den himmlischen Heerscharen. Sie schob den Betrunkenen unsanft in Richtung Tür.
    »Heute kommen Sie noch mal mit einer Verwarnung davon.« Sie schloss die Handschellen auf, schüttelte ihren Gefangenen kräftig und deutete zur Tür. »Los jetzt, zieh’n Sie Leine!« Sie beobachtete ihn, wie er die Stufen hinunterstolperte, und rief ihm nach: »Dass Sie mir ja nichts aus dem Büro mitgehen lassen, verstanden?«
    Dann sperrte sie die mittlere Zellentür auf und verbiss sich jede spöttische Bemerkung. Wie hatte Mallory gesagt? Du musst lernen, nicht immer mit allem gleich herauszuplatzen. Doch als ihr Blick wieder auf das leere Holster fiel, hatte sie doch Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.
    Der Sheriff wurde rot und legte rasch die Hand über das Lederfutteral, als hätte sie ihn nackt gesehen. »Nicht nötig, über die Sache zu reden, was, Mädel?«
    »Mädel?«
    »Lilith«, verbesserte er sich.
    »Deputy«, sagte sie entschieden.
    Er nickte. Damit war der Handel perfekt. Sie öffnete die Tür, und während er auf den schmalen Gang hinaustrat, sah sich Lilith das Schloss an. »Wie mag sie das geschafft haben? Ach ja, ich sehe schon … Das alte Ding ist bestimmt so alt wie das Haus selbst. Eine richtige Antiquität. Hätte die Gemeinde in diesem Jahr Ihr Budget erhöht, hätten Sie ein neues Schloss anschaffen können.«
    Sie versetzte dem Schloss mit ihrem Schlagstock einen gezielten Hieb. Es tat sich nichts. Beim zweiten, kräftigeren Schlag begann das alte Ding nachzugeben.
    Der Sheriff lächelte matt.
    »Geizhälse!«, sagte Lilith, während sie weiter auf das rostige Metall hämmerte. »Ich an Ihrer Stelle würde denen ganz schön Bescheid sagen.«
    Das Lächeln des Sheriffs wurde breiter. Offenbar hatte er jetzt das Gefühl, dass sich mit seiner Stellvertreterin doch etwas anfangen ließ. Es gab natürlich auch noch eine andere Alternative: dass er sie schlicht und einfach auslachte.
    Er schlug ihr zwar herzhaft auf den Rücken, so wie es Männer untereinander machen, wenn sie sich beglückwünschen, aber als sie zusammen nach unten gingen, wusste sie immer noch nicht recht, woran sie mit ihm war. Er verschwand in seinem Büro und tauchte wenige Minuten später wieder mit einer Waffe im Holster auf. Durch die offene Tür sah sie, dass die schwarze Tasche der Gefangenen nicht mehr da war. Mallory hatte jetzt also zwei Schusswaffen, die Neun-Millimeter-Automatic des Sheriffs und ihren Revolver Kaliber.357.
    Der Sheriff war schon fast an der Tür. »Ich nehme die Verfolgung auf. Du bleibst am Telefon für den Fall, dass ich dich brauche. Alles klar?« Dann schlug die Tür hinter ihm zu.
    Lilith setzte sich an ihren Schreibtisch und starrte wieder auf das stumme Telefon. Nichts hatte sich geändert.
    Lilith stellte den Computer an und wollte gerade einen Code eingeben, als auf dem Bildschirm eine Meldung erschien, die Liliths Passwort anforderte. Sie tippte es ein, und die Nachricht erschien auf dem Schirm. Wie lange hatte Mallory wohl gebraucht, um herauszufinden, dass das Passwort WOLF lautete?
    Hallo, Anfängerin!
    Wenn ich geschnappt werde, ist das gar nicht gut für dich, weil ich dann dem Sheriff sagen werde, wer du wirklich bist. Und das weißt du ja schließlich selbst nicht so genau. Ich melde mich, wenn ich dich brauche.
    Lilith lief ein kalter Schauer über den Rücken. Während sie Mallorys Memo löschte, sah sie, dass aus der

Weitere Kostenlose Bücher