Der steinerne Engel
ihm selbst erzähle. Das heißt - vielleicht wäre es ein bisschen unangenehm für Sie, wenn Tom glauben müsste, dass Sie ihm was verschweigen?«
Riker stand auf und gratulierte Augusta mit einer spöttischen Verbeugung zu ihrem Sieg. Was dann kam, war so unerhört für den Detective Sergeant, dass es Charles die Sprache verschlug. Riker beugte sich über den Tisch, nahm Augustas Hand und küsste sie.
Charles ging mit ihm hinaus. »Sieht aus, als hättest du deinen Meister gefunden.«
»Klassefrau, alles was recht ist.« Riker drehte sich um und blickte zu der Tür zwischen den Treppen, legte Charles eine Hand auf die Schulter und führte ihn ein Stück vom Haus weg. »Ich hab mich mal in der Kapelle umgesehen, in der dein Freund sein Atelier hat«, sagte er vertraulich. »Würdest du sagen, Charles, dass der kleine Bursche auf Mallory und ihre Mutter fixiert ist? Bedenklich fixiert, meine ich?«
»Lächerlich. Er ist ein sehr friedliebender Mensch.« Der eine Liste des Grauens führte und bereitwillig mitmachte, wenn es galt, Einwohner von Dayborn zu foltern, aber immerhin ... Er schüttelte Rikers Hand ab. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Henry ...«
»Beruhige dich, Charles, ich frage ja nur. Wenn du noch klar denken könntest, würdest du in mir nicht deinen Feind sehen. Das ist Mallorys Werk.«
»Du weißt nicht, was du redest. Ich habe, seit ich hier bin, noch kein Wort mit ihr gewechselt. Wie kannst du sie derart schlecht machen, wenn du sie angeblich so gut kennst?«
»Gestern hast du mich gefragt, ob ich wüsste, dass sie Klavier spielen kann. Ich hab sie einmal spielen hören. Bei einer Überraschungsparty für Lou Markowitz. Die Musiker waren schon gegangen und die Familien mit Kindern auch. Es waren nur noch die Cops da, und die wollten weiterfeiern.«
Charles wusste, dass Riker ihn mit diesem kurzen Moment gemeinsamer Nähe nur weich klopfen wollte, aber der Sergeant konnte so gut Geschichten erzählen, dass er immer wieder darauf hereinfiel.
»Und da ruft Lou: >Ich brauche Musik.<« Damals meinte das Schicksal es noch gut mit Louis Markowitz. Helen, seine Frau, war noch nicht an Krebs gestorben, seine Tochter war bei der Polizei wie er. Sein Vater und sein Großvater waren schon Polizisten gewesen, und sie würde nun die Tradition fortsetzen. »Er war bester Laune, und wenn's nach ihm gegangen wäre, hätte die Party nie aufgehört. Er stand am Klavier und rief: >Kann denn von euch Blödmännern keiner spielen?<
Da setzte sich Mallory ans Klavier und spielte ein Übungsstück für Kinder, meine Nichte hat es auch gespielt, als sie Klavierstunden nahm. Eine ganz schlichte, einfache und sehr zu Herzen gehende Melodie, und in dem Saal voll beduselter Cops wurde es ganz still, man hörte nur noch die Musik.«
Der Gesichtsausdruck seines alten Freundes Lou Markowitz war Riker besonders im Gedächtnis geblieben. Die Kleine lebte seit ihrem zehnten Lebensjahr bei den Markowitz', und Lou hatte nicht gewusst, dass sie Klavier spielen konnte. Sie hatte immer ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit gemacht, aber in jener Nacht spielte sie für ihn. Es war ein Geschenk für ihren Vater. Ein einmaliges Geschenk. Sie hatte sich für ihn nie wieder ans Klavier gesetzt.
»Ich war echt sauer auf Lou Markowitz, als er sich hat über den Haufen schießen lassen. Und jetzt hab ich Angst um seine Tochter. Ich kann nicht mehr schlafen, weil ich den Eindruck habe, dass sie jeden Augenblick ausflippen und die Bodenhaftung verlieren kann, wenn keiner auf sie aufpasst. Ich weiß, was du für sie empfindest, Charles, und Lou wusste es auch. Ich glaube, der Alte hat gehofft, dass du seiner kleinen Tochter ein bisschen Halt geben würdest, aber daraus ist nichts geworden. Sie ist hergekommen, um viele Menschenleben zu zerstören, und du hilfst ihr dabei.«
»Das ist unfair, Riker.«
»Gestern Abend war ich im Krankenhaus. Ich wollte mit dem Deputy sprechen, aber sie haben keine Besucher zu ihm gelassen. Erinnerst du dich an die Frau, die gestern den Friedhof auf allen vieren verlassen hat? Sie heißt Alma Furgueson. Als ich ging, wurde sie gerade eingeliefert. Der Fahrer des Krankenwagens hat gesagt, sie hätte sich die Pulsadern aufgeschnitten.«
»Mein Gott!« Charles spürte, wie er sich innerlich vor sich selbst ekelte.
»Sie haben es gerade noch rechtzeitig mit ihr ins Krankenhaus geschafft, sie wird durchkommen. Aber wenn sie nun gestorben wäre? Du warst nah dran, für Mallory eine Frau umzubringen. Wie
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