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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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anerkannte Verhaltensbiologin, dachte streng rational. Auch wenn Rolf van Kaens Eingreifen und sein mysteriöser Erfolg sie aus der Fassung gebracht und die Literatur über die Akupunktur ihre Phantasie beflügelt hatten, war sie außerstande, an eine Wahrheit zu glauben, die ihre gesamte Auffassung von Wirklichkeit ausgehebelt hätte.
    Wie die meisten Biologen war Diane überzeugt, dass sich die Welt in all ihrer Komplexität letztlich auf eine Reihe physikalischer und chemischer Mechanismen zurückführen lässt, die sich aus konkreten und identifizierten Elementen zusammensetzen, vom mikroskopisch Kleinen bis zum unendlich Großen. Natürlich leugnete sie nicht die Existenz des menschlichen Geistes, doch sie betrachtete ihn als eigene Wesenheit, deren Funktion im Wahrnehmen und Begreifen bestand. Als eine Art geistigen Zuschauer in der Loge des Universums.
    Dabei war sie sich durchaus bewusst, dass dies eine reduktionistische und überholte Auffassung vom Zusammenwirken der Elemente des Kosmos war – eine Auffassung, die noch von den Pragmatikern des neunzehnten Jahrhunderts stammte und das menschliche Bewusstsein aus der Logik der übrigen Realität stillschweigend ausklammerte. Immer öfter räumten nun auch die Naturwissenschaftler ein, dass der Geist in seiner Unergründlichkeit und Unfassbarkeit ebensosehr Bestandteil der Wirklichkeit sei wie ein Molekül oder ein Neutronenstern; dass er, wenn auch noch nicht genau definiert, seinen Platz in der großen Kette der Wesen habe, mit derselben Berechtigung wie jedes andere greifbare Element. Einige vertraten sogar die Auffassung, das Bewusstsein sei kein passiv registrierender Apparat, sondern nehme über die von ihm gesteuerten Handlungen hinaus als reine Kraft einen direkten Einfluss auf die objektive Wirklichkeit.
    Diane konzentrierte sich auf die Straße. Sie durchquerte Nanterre, wo die Platanenreihen ein städtebauliches Blendwerk waren, in dem Bestreben, die typische Vorstadtödnis zu verschleiern – eine deprimierende Mischung aus alten Mietshäusern, trübsinnigen Flachbauten und allzu modernen, seelenlosen Bürogebäuden.
    In Rueil-Malmaison veränderte sich die Landschaft. An die Stelle der Platanen traten Pappeln, hoch aufgeschossene, vibrierende Formen mit winzigen Blättern, die das Versprechen von Wasser und Grün bargen. In der Nachbarschaft des Château de Malmaison säumten hohe Parkmauern die Avenue Bonaparte, die Steine waren mit wildem Wein bewachsen, die Tore trugen hübsche Bedachungen. Mit großherzoglicher Miene schienen die hohen Häuser über ihre Gartenmauern hinweg den Strom der Autos zu taxieren, als hätte das Schloss sämtliche Villen und Pavillons in seiner Nähe mit seinem Stolz angesteckt.
    Der Verkehr floss zügig, Diane kam ohne Stau voran. Wieder kehrten ihre Gedanken zu ihren Nachforschungen zurück. War Lucien tatsächlich ein Wächter? Besaß er die Kräfte, die den Wächtern unterstellt wurden? Rührten sie an eine ungeahnte Dimension der Wirklichkeit? »Dieses Kind muss leben«, hatte Rolf van Kaen gesagt. Zweifellos kannte er die Wahrheit über Lucien – was sein Eingreifen erklärte. Was erwartete er von dem Kind? Sie wusste keine Antwort darauf, doch sie war überzeugt, dass sie sich auf dem richtigen Weg befand. Sie musste diesen übersinnlichen Fähigkeiten nachspüren – auch wenn sie selbst nicht daran glaubte und die Geschichten darüber für sie nur Schimären waren: Jetzt zählte nicht das, was sie selbst glaubte, sondern einzig die Überzeugungen der Leute, die Rolf van Kaen ermordet und Lucien zu töten versucht hatten.
    In Bougival kam die Straße mit der Seine zusammen und verlief parallel zum Flussufer, und Diane erkannte in der Ferne die langen, waldbestandenen Inseln, die sich im Wasser spiegelten. Die steinerne Brücke trug die Inschrift »Schleusen von Bougival«. Diane fuhr langsamer und betrachtete die Kähne, die Hausboote, die friedlich glatten Gewässer. Alles hier erinnerte an Sommerfrische, an Picknick im Grünen, an kleine Fluchten aus dem Chaos der Großstadt.
    Nach weiteren zwanzig Minuten erreichte sie den Platz vor dem Schloss von Saint-Germain-en-Laye. Die Kirchturmuhr schlug dreiviertel sieben. Sie fuhr durch breite Straßen, denen noch die Spuren der Kutschen und königlichen Defilees eingeprägt schienen, und bog dann, wie Bruner sie angewiesen hatte, zum Wald hin ab. Sie drang in ein Gewirr enger Gassen ein, gesäumt von hohen, efeubewachsenen Gartenmauern, über denen der Tag zur

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