Der Steinwandler pyramiden2
daran, sich zu ducken oder auszuweichen, während wir an den entfesselten Armen der Steinmänner vorbeirannten.
Glück – oder vielleicht auch etwas anderes – rettete uns, und wir erreichten die Stelle, an der Avaldamon gestanden hatte.
Gestanden hatte. Jetzt war er verschwunden.
»Avaldamon«, stieß ich hervor, dann schaute ich nach unten.
Fetizza hockte in einem kleinen Felsspalt. Sie sah sehr wütend aus.
Um sie herum quoll Wasser in die Höhe.
Ich sank auf die Knie, dann auf die Hände. Welchen Vorteil würde uns Wasser…
»Braves Mädchen«, sagte Kiamet leise und sank neben mir nieder, streichelte Fetizza über den Kopf. »Braves Mädchen.«
Ich war völlig durchnäßt. Noch nie zuvor hatte ich das Wasser so schnell steigen gesehen. Es breitete sich in einer großen Lache um uns herum aus, und Fetizzas große schwarzen Augen hatten noch immer nichts von ihrer Wut verloren.
Ein Steinmann wankte in unsere Richtung.
Ich zuckte zusammen. Jetzt waren wir tot.
Er rutschte im Wasser aus. Einen Augenblick lang hatte es fast den Anschein, als würde Überraschung die Verzweiflung auf den steinernen Zügen ersetzen, dann stürzte er und landete mit einem so lauten Krachen auf dem Boden, daß der ganze Stein um uns herum erbebte.
Das Wasser sprudelte jetzt heftig aus der Spalte.
Es ertönte noch ein Krachen, dann noch eins, mehrere gleichzeitig.
Fetizza rülpste.
Aus jeder Spalte um uns herum spritzte Wasser. Ich mußte die Finger in einen Bodenriß klammern, um nicht selbst fortgespült zu werden.
Der Krach der auf den Felsboden aufschlagenden Steinkörper war jetzt fast ohrenbetäubend, aber ich konnte die Triumphrufe hören, die ihn übertönten.
Fetizza quakte zufrieden und schmiegte sich in ihre Spalte.
Kiamet und ich wanderten auf der Suche nach Boaz stundenlang umher. Isphet hatten wir ziemlich schnell gefunden. Sie war in der Nähe des Zeltes geblieben, wo sie einigermaßen sicher vor den Angreifern gewesen war. Nur drei hatten es bis dorthin geschafft, und sie hatten sich so in den Zeltschnüren verfangen, daß sie umgefallen waren und sie vor anderen geschützt hatten.
Sie hatte sie nicht berührt, bevor die Gefahr gebannt gewesen war.
Bei unserer Suche waren wir umgeben von einer Landschaft, die übersät war mit hilflos fuchtelnden Armen und Stöhnen.
Sämtliche Steinmänner, die aufrecht gestanden hatten, als Fetizza das Wasser aus den Felsspalten gelockt hatte, waren durch die Überschwemmung zu Fall gebracht worden.
Dabei hatten sie allerdings auch mehrere Dutzend unserer Soldaten getötet oder verstümmelt.
Und in dem Chaos davor waren weitere Hunderte Männer getötet worden. Die Zehntausend, die Amok gelaufen waren, hatten den von Nzame gewünschten Schaden angerichtet.
Allein die Götter wußten, was geschehen wäre, hätte Fetizza nicht gehandelt.
»Boaz?« rief ich leise in die Nacht hinein. »Boaz?«
Kiamet hinkte neben mir her. Er war übel zugerichtet und hätte sich in einem der Zelte behandeln lassen müssen, aber er bestand darauf, bei mir zu bleiben.
»Boaz? Boaz?«
Vor mir tauchte eine Gestalt auf, und ich schrie auf und streckte die Arme aus.
Aber es war Zabrze, nicht Boaz, und auch wenn ich glücklich war, ihn zu sehen, so war er doch nicht Boaz.
»Isphet?« fragte er. »Wo ist Isphet?«
»Sie ist bei dem Zelt, an dem du sie zurückgelassen hast, Zabrze…«
Aber da war er schon weg und lief in die Nacht hinaus.
Ich drehte mich um und starrte Iraldur ins Gesicht.
»Wie ich sehe, lebt Ihr noch«, grunzte er. »Und wir haben gesiegt, wenn auch zu einem Preis, mit dem ich nicht gerechnet hätte.«
Dann war auch er wieder verschwunden, und ich fing an zu weinen, denn ich war davon überzeugt, Boaz nie wiederzusehen.
»Komm«, murmelte Kiamet, »es ist sinnlos, in der Nacht hier herumzuwandern. Es gibt viel, das du morgen früh in Ordnung bringen kannst. Aber jetzt…«
»Aber jetzt kümmere ich mich um sie, Kiamet. Geh zu Isphets Heilerzelt, du mußt dich versorgen lassen.«
»Boaz!«
Er legte die Arme um mich und hielt mich so fest, wie ich es mir nur wünschen konnte, und wir weinten und trösteten uns bis in die Nacht hinein, allein unter zehntausend Steinmännern, die auf dem Rücken lagen und traurig dem gleichgültigen Mond über sich zuwinkten.
19
Der Anblick am Morgen war beinahe unglaublich – und enthielt seinen eigenen Schrecken. Das Wasser, das Fetizza herbeigerufen hatte, hatte über Nacht seinen Zauber gewirkt.
Jetzt ragten viele
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