Der sterbende Detektiv - Roman
höchste Zeit. Lars und ich waren einundzwanzig, als wir an der Polizeischule anfingen.«
»Ich habe kein Abitur«, sagte Max. »Ich habe nach der Neunten alles hingeschmissen.«
»Das kriegen Sie schon hin«, meinte Jarnebring, der an der Polizeischule angenommen worden war, weil er ein erstklassiger Sportler gewesen war. Dass er nur acht Jahre Buchgelehrsamkeit aus der Volksschule vorzuweisen hatte, hatte damals keine Rolle gespielt.
»Vielleicht«, meinte Max. »Aber das ist nicht das eigentliche Problem.«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Jarnebring. »Ich habe selbst dem einen oder anderen Schwachkopf eins aufs Maul gegeben. Auch bevor ich Polizist wurde, damals in der Tat noch öfter.«
»Aber Sie waren nie im Erziehungsheim«, meinte Max.
»Nein«, erwiderte Jarnebring. »Doch ich kann gute Menschen von schlechten unterscheiden. Sie sind ein guter Mensch, Max. Nur das zählt.«
»Was ist das für ein Unsinn?«, unterbrach ihn Johansson. »Diese Welt wird hauptsächlich von Armleuchtern regiert. Erzählen Sie, Max. Erzählen Sie das Wesentliche über sich, so wie Sie selbst die Sache sehen. Wer ist Max? Erzählen Sie mir das.«
»Wo soll ich anfangen?«, fragte Max. Leises Lächeln, jetzt gelassener, die breiten Unterarme auf die Tischplatte gelegt.
»Ganz von Anfang an«, sagte Johansson. »Und du, Bo, hältst so lange den Mund.«
»Okay«, sagte Max und lächelte. »Ich heiße also Maxim Makarov und bin nicht mit dem großen Sergej verwandt.«
Maxim Makarov kam 1987 in Leningrad zur Welt, demselben Leningrad, das vier Jahre später seinen ursprünglichen Namen aus dem Russland der Zarenzeit annahm, Sankt Petersburg. Damals schrieb er seinen Vornamen noch mit Ks und nicht mit Xs.
»Meine Mutter war Ärztin, mein Vater war Fahrer und Leibwächter eines örtlichen Parteibosses. Er verdiente damit fast vier- oder fünfmal so viel wie meine Mutter. Damals, in der Sowjetunion, war der Arztberuf einer der schlechtbezahltesten. Das ist immer noch so, glaube ich. Sofern man nicht Parteimitglied ist und sich ein Krankenhaus unter den Nagel gerissen hat.«
»Da sehen Sie«, sagte Jarnebring. »Schulbildung ist wirklich sekundär.«
»Jetzt hältst du die Klappe, Bo«, sagte Johansson. »Erzählen Sie weiter, ich höre zu«, sagte er und nickte Max zu.
Max’ Eltern trennten sich ungefähr zum Zeitpunkt seiner Geburt. Als er zwei Jahre alt war, zerfiel im Herbst 1989 das Sowjetreich, und seine Mutter schlüpfte durch einen der Risse in der Mauer und fuhr nach Tallinn zu einem Ärztekongress. Sobald sie an Land gegangen war, halfen ihr ihre estnischen Freunde, nach Finnland weiterzureisen. Dort sorgten andere Kontakte dafür, dass sie auf die Fähre nach Schweden kam. Zwei Tage, nachdem sie aus Leningrad abgereist und ihren kleinen Sohn bei ihren Eltern zurückgelassen hatte, beantragte sie politisches Asyl in Schweden.
»Ich blieb also bei meinen Großeltern«, sagte Max.
»Und Ihr Vater?«, fragte Jarnebring, obwohl ihm Johansson einen warnenden Blick zuwarf.
»Ich habe ihn höchstens zehn Mal getroffen«, meinte Max und schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich nicht einmal an sein Gesicht. Außerdem wurde er erschossen, als ich vier war.
Er holte seinen Boss in dessen Wohnung ab. Als sie das Haus verließen, wurden sie erschossen. Mein Vater, sein Boss und der Fahrer. Damals herrschte in Leningrad regelrecht Krieg. Kamerad Kalaschnikow und die Parteibonzen, die alles Geld für sich behalten wollten, regierten.«
»Kann nicht so spaßig gewesen sein«, meinte Jarnebring, obwohl sein bester Freund aussah, als würde er gleich laut stöhnen.
»Für mich spielte das keine Rolle«, sagte Max. »Schließlich kannten wir uns nicht. Ich fand es vermutlich eher aufregend, einen Vater zu haben, der erschossen worden war. Das machte also nichts. Meine Großmutter war eine gute Frau. Mein Großvater ein guter Mann. Aber dann änderte sich alles, dann war nichts mehr gut.«
»Was geschah?«, fragte Johansson.
»Erst starb mein Großvater. Er war alt und hatte im Großen Vaterländischen Krieg gekämpft. Er war bereits Rentner, als ich zur Welt kam. Er hatte einen Herzinfarkt und starb einfach. Da war ich fünf. Im Jahr darauf, an meinem sechsten Geburtstag, deswegen erinnere ich mich auch noch so genau an den Tag, starb meine Großmutter. Sie hatte ebenfalls einen Herzinfarkt. Brach in der Küche zusammen, als sie meine Geburtstagstorte auf den Tisch stellen wollte. Da kam ich ins Kinderheim.
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