Der sterbende Detektiv - Roman
angeheiratete Tante. So war das wohl«, meinte Erika Brännström und nickte. »Margaretha war seine Tante.«
»Staffan Leander Nilsson«, sagte Johansson. »Leander ist sein zweiter Vorname. Wenn man korrekt sein will, so heißt er Nilsson mit Nachnamen.«
»Aha, ja«, meinte Erika. »Staffan Nilsson, so was auch. Als er sich mir vorstellte, sagte er jedenfalls, er heiße Staffan Leander. Er erzählte mir auch, Margaretha sei seine Tante,
denn das wusste ich nicht. Ich dachte, alle ihre Verwandten seien verstorben.«
»Erzählen Sie«, sagte Johansson. Du solltest vielleicht Polizist werden, Lars Martin, dachte er, vielleicht sogar Vernehmungsleiter.
Im Frühjahr 1984 war Erika Brännström Staffan Leander Nilsson zum ersten Mal begegnet, als sie bei einer größeren Party in Margarethas Haus ausgeholfen hatte. Ihr letztes Gespräch hatte ein halbes Jahr später im Herbst desselben Jahres stattgefunden, als sie ihn angerufen hatte, um ihn zur Rede zu stellen, was er mit ihren Töchtern gemacht habe. Dazwischen, im Frühjahr und Sommer 1984, hatten sie sich höchstens zehn Mal gesehen. Zweimal war er bei ihr vorbeigekommen, um ihre Kinder abzuholen. Beim ersten Mal hatten sie zusammen mit Margaretha ins Freilichtmuseum Skansen gehen wollen, beim zweiten Mal war er allein mit ihren Töchtern in den Tierpark Kolmården gefahren.
»Er war sehr charmant, müssen Sie wissen. Hatte Humor und war unterhaltend. Höflich, hilfsbereit und was weiß ich nicht. Ganz anders als der Mann, mit dem ich verheiratet gewesen war.«
»Hat er Ihnen irgendwelche Avancen gemacht?«
»Erst glaubte ich das. Ich war vollkommen uninteressiert. Er war zehn Jahre jünger als ich, und ich war Männer zu diesem Zeitpunkt gründlich leid. Aber zu den Mädchen war er sehr nett, er spielte und spaßte mit ihnen. Ganz anders als ihr Vater wie gesagt.«
»Sie fanden das nicht weiter merkwürdig?«
»Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal fragte, warum er so gerne etwas mit den Mädchen unternimmt. Da erzählte er mir, er sei als Einzelkind allein mit seiner Mutter aufgewachsen. Seinen Vater hatte er offenbar nie getroffen. Er erzählte
mir auch, seine ganze Kindheit lang hätte er sich jüngere Geschwister gewünscht. Vorzugsweise kleine Schwestern, mit denen er hätte spielen und Streiche aushecken können. Das hätte er sich am allermeisten gewünscht.«
»Ja, das klingt vielleicht einleuchtend«, meinte Johansson, obwohl er selbst mit drei Brüdern und drei Schwestern aufgewachsen war und sich nichts inständiger gewünscht hatte, als ein Einzelkind zu sein.
»Das war ja noch vor der sogenannten Pädophilendebatte. Dass ein so netter und umgänglicher junger Mann sich für kleine Mädchen interessieren könnte, auf diese Art … Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen. Ich meine, Jessica, die Kleine, war damals ja erst fünf oder sechs, und ihre große Schwester gerade mal zehn. Das erste Mal, als er sie traf, war ich außerdem die ganze Zeit dabei. Wir waren auch einmal im Vergnügungspark Gröna Lund. Ein anderes Mal machten wir einen Ausflug in den Hagapark. Ich war wahrscheinlich einfach froh und dankbar, dass ich einen netten Burschen gefunden hatte, der sich an den kleinen Geschwistern erfreute, die er nie gehabt hatte.«
»Und wann regte sich bei Ihnen der Verdacht, dass etwas nicht stimmte?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Erika Brännström. »Das war mehr so ein Gefühl, dass etwas merkwürdig war. Dass so ein junger, hübscher und umgänglicher Mann keine Freundin hatte. Ich erinnere mich, dass ich ihn gefragt habe.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Dass er mehrere Freundinnen gehabt hätte, aber nie eine längere Beziehung. Er hielt die Mädchen in seinem Alter alle für zu oberflächlich. Aber er würde schon noch die Richtige finden. Misstrauisch wurde ich erst, als er mit meinen Mädchen im Kolmården gewesen war. Da wurde mir klar, dass etwas passiert sein musste. Beide waren vollkommen verändert.
Ich fragte, was passiert sei, aber beide wollten darüber nicht sprechen. Das war irgendwann im Spätsommer.«
»Und was haben Sie getan?«
»Ich hatte ja schon etliche Jahre in der Klinik gearbeitet. Also sprach ich mit einem Freund dort, einem Kinderarzt. Er untersuchte sie. Er kannte sie ja auch schon von früher, was von Bedeutung gewesen wäre, falls ihnen wirklich etwas zugestoßen sein sollte. Er konnte aber körperlich nichts feststellen. Dass ihnen etwas widerfahren war, was sie nicht gemocht oder was sie
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