Der sterbende Detektiv - Roman
Stadt zurücklaufen«, sagte Johansson. »Wir sehen uns in diesem Wirtshaus neben dem Skansen-Nebeneingang und der Bergbahn«, sagte er. Wie hieß das denn, verdammt noch mal, dachte er. Plötzlich weg, obwohl er mindestens hundert Mal dort gegessen haben musste, als er noch ein normales Leben geführt hatte.
»Ulla Winbladh?«, fragte Matilda.
»Genau«, antwortete Johansson, »wir sehen uns im Ulla Winbladh, etwa in einer Stunde.«
Erst schaute sie ihn nur an, dann nickte sie.
»Okay«, sagte sie. »Wir sehen uns im Ulla Winbladh.«
Dann setzte sie sich wieder ins Auto und fuhr davon.
Anfänglich war er fast ausgelassen, keine anstrengenden Steigungen, er ging einfach den Kanal entlang, allein und in seinem eigenen Tempo. Nach einer Viertelstunde verspürte er eine gewisse Mattheit. Er setzte sich auf eine Bank, wischte sich den Schweiß von der Stirn, atmete mit geschlossenen Augen tief durch und spürte, wie sein Blutdruck sank. Nach einer Weile erhob er sich, um weiterzugehen. Langsam. Vorsichtig, damit ihm der Blutdruck folgen konnte und er nicht auf die Schnauze fiel.
Nach einer weiteren Viertelstunde hatte er fast die halbe Strecke geschafft. Jetzt bekam er besser Luft und schwitzte weniger. Nächste Bank, Zeit für eine Pause, ihm fehlten nur eine Thermoskanne mit Kaffee und ein Butterbrot, gesüßtes Brot mit Fleischwurst. Vielleicht rief ja die eisige Septemberluft an Wangen und Kinn die Erinnerung in ihm wach. Ein Baumstumpf zum Sitzen, zu Hause die Aussicht über den Fluss und das heisere Bellen eines Jämtland-Hundes, der gerade einen Elch aufgescheucht hat.
Du lebst, Lars Martin, dachte Johansson, als er zum ausgemachten Zeitpunkt das Restaurant betrat.
»Was halten Sie von gegrilltem Saibling mit Salat«, fragte Matilda, die bereits die Speisekarte studierte.
»Das dürfen Sie gerne bestellen«, erwiderte Johansson. »Ich nehme Speck mit Kartoffelpuffer, ein kaltes tschechisches Pils und einen großen Wodka.«
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Donnerstagnachmittag des 29. Juli 2010
Wieder zu Hause legte er sich auf sein Sofa in seinem Arbeitszimmer und bat Matilda um eine Tasse Kaffee und eine Flasche Mineralwasser. Er fühlte sich fitter als seit langem. Keine Kopfschmerzen, kein Druck auf der Brust. Besser die Gelegenheit nutzen, dachte Johansson und suchte den braunen Umschlag hervor, den ihm Ulrika Stenholm einige Tage zuvor gegeben hatte. Er war für jemanden, der es ruhig angehen und sich nicht stressen sollte, angenehm dünn. Einige Konzertprogramme. Auftritte von Margaretha Sagerlied.
Weihnachtskonzert in der Kirche von Bromma. Standardrepertoire, dachte Johansson, ohne sich eigentlich auszukennen.
Kirchenkonzert in der Kirche von Spånga. Offenbar ein vielfältigeres Programm, dachte Johansson, wobei er darüber auch nicht sonderlich viel wusste.
Mozart im Schlosstheater von Drottningholm. Das wissen doch wohl alle, dachte Johansson, obwohl er dieses Opernhaus nie betreten hatte.
Ein halbes Dutzend Fotos, die jemandem wie ihm gleich viel mehr sagten, da sie etlichen Menschen ein Gesicht gaben, denen er nie begegnet war, mit denen er nie gesprochen hatte und von denen er auch nie ein Bild gesehen hatte.
Ein signiertes Porträtfoto Margaretha Sagerlieds. Eine junge und sehr hübsche Margaretha Sagerlied, laut Stempel des Fotoateliers auf der Rückseite: aufgenommen 1951. Die einzige Erklärung, wie es etliche Jahre später in den Besitz von Ulrika Stenholms Vater geraten konnte, war vermutlich, dass sie es ihm geschenkt hatte. Oder eher ihm und seiner Frau, dachte Johansson. Halbprofil, dunkler Hintergrund, der Kopf zurückgeneigt, halb geschlossene Lider, ein fast spöttisches Lächeln. Eine dramatische Pose, wie es sie ein halbes Jahrhundert später gar nicht mehr gab. Carmen, dachte Johansson. Hat sie sich so gesehen?, überlegte er.
Ein weiteres Foto. »Erstes Krebsessen des Jahres 1970 bei Margaretha und Johan«, las Johansson auf der Rückseite. »Unser Gastgeber Johan, meine liebe Frau Louise, unsere charmante Gastgeberin Margaretha und ich«, las er darunter. Offenbar hat der Pfarrerpapa den Kommentar verfasst, dachte Johansson. Zwei Herren in Smoking flankierten zwei Damen in Abendkleidern, alle mit Papphütchen auf dem Kopf und den breiten Champagnergläsern, die man damals hatte, in der Hand. Fröhliche Gesichter. Wer das Foto wohl aufgenommen hat?, überlegte Johansson. Auch egal, dachte er, da auch der Fotograf, falls es sich wirklich um einen Mann gehandelt hatte, fünfzehn Jahre später zu
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