Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
dunkel wird«, sagte er und zog Sophie zurück in den Wald. »In der Dämmerung wird man uns nicht so leicht entdecken können.«
Der Nachmittag verstrich wie im Traum. Zunächst hatten sie von den Beeren genascht, die noch in den Büschen hingen. Die Brombeeren waren süß und saftig, Sophies Finger und Lippen färbten sich blau. Farid hatte den Blick nicht von ihrem Mund lösen können.
Später hatten sie versucht, ein wenig zu schlafen. In einer Mulde waren sie in das trockene Laub gekrochen, Farid hatte seinen Arm um Sophie gelegt und sie an sich gezogen. Und sie hatte es geschehen lassen.
Doch Farid konnte nicht einschlafen. Während Sophies Brust sich bald gleichmäßig hob und senkte, jagten die Gedanken wie wilde Tiere durch seinen Kopf. Er konnte nicht glauben, was sie ihm offenbart hatte. Seine Gefühle überschlugen sich, ja, seine Verwirrung hatte sogar noch zugenommen. Sophian hatte er seine Liebe nicht gestehen können – und Sophie?
Farid spürte, dass sie ihn als Freund und Gefährten schätzte. Hatte sie je etwas anderes für ihn empfunden?
Wieder roch er an ihrem Haar, dessen Duft sogar den Laubgeruch überdeckte. Ihr Körper war warm und anschmiegsam, sie lag wie ein köstliches Versprechen in seinen Armen. Und doch wagte er nicht, seine Hände über ihren Körper gleiten zu lassen.
Allahu akbar … Er war nun siebzehn Jahre alt und das Verlangen, seinen Körper zu spüren, über Grenzen zu gehen und an einen Punkt zu gelangen, für den er keine Worte fand, war übermächtig. In Isfahan hätte sein Vater ihn in eines der Badehäuser mitgenommen, wo man sich auf die Wünsche jedes Mannes verstand. Er hätte nicht warten müssen, bis … Bis ihn eine Frau erhörte. Er hätte Erfahrungen sammeln können – so wie es sein Vater und seine Vorväter auch getan hatten. Bis die eine gekommen wäre, die Allah ihm in seinen Träumen versprochen hatte.
Doch Sophie war jünger. Farid schloss die Augen und rief sich die sanfte Wölbung ihrer Brüste in Erinnerung, die sich unter dem Hemd abgezeichnet hatten. Sophie hatte ihn nicht locken wollen. Sie hatte ihm lediglich ihr wahres Geschlecht bewiesen, doch ihre Unbefangenheit hatte ihm fast den Atem geraubt. Sie hatte nicht bemerkt, wie sehr ihn ihr Körper verwirrte. Wie sehr er es genoss, sie in seinen Armen zu halten. Sie mochte die Nähe des Freundes, seine Gesellschaft, seinen Mut, seinen Schutz. Sie mochte es, nicht allein zu sein. Und wenn sie sich an ihn schmiegte, so war das ihrer Freundschaft und der kühlen Herbstluft geschuldet, die über den Boden kroch und sie zittern ließ. So etwas wie Liebe kam ihr wohl nicht in den Sinn. Noch nicht.
Farid wusste, dass er warten müsste. Und dass er behutsam sein müsste. Er wollte sie nicht noch einmal verlieren.
Farid weckte sie mit einem Kuss auf die Stirn. Wie lange hatte sie geschlafen? Verwirrt strich sich Sophie über das Gesicht. Sie wusste nicht, wo sie war. Im Traum hatte sie Johanna gesehen, die über dem Wasser der Schlei auf die Möweninsel hinüberzuschweben schien. Sie hatte ihr zugewinkt und ein Lächeln hatte auf ihrem Gesicht gelegen. Es war ein friedliches Bild gewesen, heiter und frei. Hatte Johanna ihren Frieden gefunden?
Melissa … Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sophie drehte sich zu Farid, dann setzte sie sich auf und streckte sich. Sie fühlte sich ausgeruht und zuversichtlich.
»Sollen wir?«
Farid nickte. Die Sonne hatte sich bereits so weit gesenkt, dass der Wald dunkle Schatten warf. Der Abhang war in bläuliches Schwarz getaucht, ein Tintenfass. In der Ferne blitzten vereinzelt die Lichter der Stadt.
»Komm!«
Farid nahm sie bei der Hand und zog sie hoch. Als sie aus dem Wald heraustraten, begann ihr Herz zu klopfen. Und wenn man sie doch sehen könnte?
»Keine Angst, sie können uns nicht erkennen.«
Farid schien ihre Gedanken zu lesen, er drückte ihre Hand. Vorsichtig tasteten sie sich den Hügel hinab, als Sophie über eine Wurzel stolperte, fing er sie auf.
Auf dem Acker kamen sie besser voran. Sie hielten sich parallel zur Stadtgrenze, der Friedhof auf dem Holm lag im Norden der Stadt an der Schlei.
»Wie kommen wir auf den Holm?«
Farid flüsterte, sein Atem ging stoßweise, sie waren ein gutes Stück gelaufen.
»Durchs Wasser, die Siedlung liegt auf einer Insel.«
»Wir müssen schwimmen?«
Sophie spürte, wie Farid zurückzuckte.
»Das Wasser ist flach«, beruhigte sie ihn. »Es geht uns vielleicht bis zur Hüfte. Wir können hinüber
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