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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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wir sie hatten warten lassen. »C’est impardonable«, sagte er.
    »Wo waren Sie?« fragte sie ihn.
    »Ich habe Granger nach Hause begleitet«, antwortete er.
    » Nach Hause?« sagte ich und lachte, und Pyle warf mir einen Blick zu, als sei ich ein zweiter Granger. Mit einem Mal sah ich mich selbst, wie er mich sehen mußte, als einen Mann in mittleren Jahren, die Augen leicht gerötet, mit beginnendem Fettansatz, plump und ungelenk in der Liebe, weniger aufdringlich als Granger vielleicht, aber zynischer, weniger unschuldig; und für einen Augenblick sah ich Phuong vor mir, wie ich sie zum erstenmal gesehen hatte, als sie in einem weißen Ballkleid an meinem Tisch im »Grand Monde« vorübertanzte, achtzehnjährig und unter der Aufsicht einer älteren Schwester, die entschlossen gewesen war, sie gut mit einem Europäer zu verheiraten. Ein Amerikaner hatte sich eine Karte gekauft und sie zu einem Tanz aufgefordert. Er war etwas betrunken – aber durchaus harmlos, und ich nehme an, er war noch fremd in diesem Land und meinte, die Eintänzerinnen im »Grand Monde« seien Dirnen. Er hielt sie viel zu fest an sich gepreßt, während sie die erste Runde um das Parkett machten. Und sie – sie ging unvermittelt an ihren Platz neben der Schwester zurück, und er blieb allein, einsam und verlassen unter den übrigen Tänzern, er wußte nicht, was geschehen war oder weshalb. Und die junge Frau, deren Namen ich nicht kannte, saß still an ihrem Tisch, nippte hin und wieder an ihrem Glas Orangensaft, gehörte nur sich selbst.
    »Peu-ton avoir l’honneur?« fragte Pyle eben mit seinem fürchterlichen Akzent, und einen Augenblick später sah ich sie am anderen Ende des Saales schweigend dahintanzen. Pyle hielt seine Partnerin so weit von sich, daß man hätte meinen können, er werde sich im nächsten Augenblick völlig von ihr trennen. Er war ein elender Tänzer, und sie war in jener Zeit im »Grand Monde« die beste Tänzerin, der ich je begegnet war.
    Es war ein langes Liebeswerben voll Enttäuschungen gewesen. Hätte ich ihr die Ehe und eine entsprechende Vermögensübertragung anbieten können, dann wäre alles leicht gegangen, und die ältere Schwester hätte sich bei jeder unserer Zusammenkünfte still und taktvoll zurückgezogen. So aber vergingen drei Monate, ehe ich sie auch nur für einen Augenblick allein sprechen konnte. Es war auf einem Balkon des »Majestic«, und ihre Schwester fragte im Zimmer dahinter ununterbrochen, wann wir wieder hineinzukommen gedächten. Im Schein von Leuchtfeuern wurde auf dem Saigon-Fluß ein Frachtdampfer aus Frankreich entladen. Die Fahrradglocken der Rikschas schrillten wie Telefone. Und ich hätte ein junger, unerfahrener Narr sein können – so schwer fiel es mir, die richtigen Worte zu finden. Verzweifelt kehrte ich zu meinem Bett in der Rue Catinat zurück und hätte mir nie im Traum einfallen lassen, daß Phuong vier Monate später dort neben mir liegen werde, ein wenig atemlos und lachend, als sei sie überrascht, daß alles etwas anders war, als sie erwartet hatte.
    »Monsieur Fowlair!« Ich hatte die beiden beim Tanzen beobachtet und nicht bemerkt, daß Phuongs Schwester mir von einem anderen Tisch aus zuwinkte. Jetzt kam sie herüber, und ich forderte sie widerstrebend auf, Platz zu nehmen. Unsere Freundschaft hatte in jener Nacht ein Ende gefunden, als sie im »Grand Monde« plötzlich von einem Unwohlsein befallen worden war und ich Phuong nach Hause begleitet hatte.
    »Ich habe Sie ein ganzes Jahr lang nicht gesehen«, sagte sie.
    »Ich bin sehr oft weg, in Hanoi.«
    »Wer ist Ihr Freund?« erkundigte sie sich.
    »Er heißt Pyle.«
    »Was tut er?«
    »Er gehört der amerikanischen Wirtschaftsmission an. Sie kennen das ja – elektrische Nähmaschinen für halbverhungerte Näherinnen.«
    »Gibt es welche?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Jedenfalls verwenden sie keine elektrischen Nähmaschinen. Wo die wohnen, gibt es bestimmt keinen Strom.« Sie war eine Frau, die alles wörtlich nahm.
    »Da müssen Sie schon Pyle fragen«, erwiderte ich.
    »Ist er verheiratet?«
    Ich warf einen Blick zur Tanzfläche hinüber. »Ich möchte behaupten, daß er noch nie näher als jetzt an eine Frau herangekommen ist.«
    »Er tanzt sehr schlecht«, stellte sie fest.
    »Richtig.«
    »Aber er macht einen netten, verläßlichen Eindruck.«
    »O ja.«
    »Kann ich ein bißchen bei Ihnen sitzen bleiben? Meine Bekannten sind sehr langweilig.«
    Die Musik hörte auf, und Pyle verbeugte sich steif

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