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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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doch ganz und gar unpassend für sie.«

Viertes Kapitel
     
1
     
    Vom Glockenturm der Kathedrale aus betrachtet, glich die Schlacht nur einem Bild, wie das Panorama einer Kampfszene aus dem Burenkrieg in einer alten Nummer der ›Illustrated London News‹. Ein Flugzeug warf mit dem Fallschirm Nachschubmaterial für einen eingeschlossenen Vorposten im Calcaire ab, jenen seltsamen, von Wind und Wetter zerfressenen Bergen an der Grenze von Annam, die wie Haufen von Bimsstein aussehen; und weil die Maschine jedesmal von derselben Stelle aus zum Gleitflug ansetzte, hätte man meinen können, sie habe sich von dort gar nicht fortbewegt; und auch der Fallschirm schwebte stets an demselben Punkt auf halbem Weg zur Erde. Aus der Ebene stiegen ewig gleich die Explosionswolken der Granatwerfer auf, der Rauch so fest geballt wie Stein, und die Flammen auf dem Marktplatz brannten blaß im Sonnenlicht. Die winzigen Gestalten der Fallschirmjäger bewegten sich im Gänsemarsch entlang den Kanälen, doch aus dieser Höhe schienen sie stillzustehen. Selbst der Priester, der in einem Winkel des Turms saß und sein Brevier betete, veränderte nie seine Haltung. Der Krieg war ordentlich und sauber aus dieser Entfernung.
    Ich war vor dem Morgengrauen auf einem Landungsboot aus Nam Dinh hereingekommen. Wir hatten an der Marinestation nicht landen können, weil der Feind, der die Stadt in einem Umkreis von sechshundert Metern völlig umzingelt hielt, die Verbindung mit ihr abgeschnitten hatte; daher legte das Boot neben dem lodernden Marktplatz an. Wir waren im Licht der Flammen ein leicht erkennbares Ziel, aber aus irgendeinem Grund schoß niemand. Alles blieb still, nur das Knistern und Bersten der brennenden Marktbuden war zu vernehmen. Ich konnte deutlich hören, wie am Flußufer ein Senegal-Schütze, der dort Posten stand, seine Stellung veränderte.
    Ich hatte Phat Diem in den Tagen vor dem Angriff gut gekannt – die eine enge, lange Straße von hölzernen Buden, die alle hundert Meter von einem Kanal, einer Kirche und einer Brücke unterteilt wurde. Nachts war sie nur mit Kerzen und Öllämpchen beleuchtet gewesen (in Phat Diem gab es keinen elektrischen Strom, außer in den Quartieren der französischen Offiziere), und bei Tag und bei Nacht hatten Menschen und Lärm die Straße erfüllt. In einer seltsam mittelalterlichen Art, überschattet und zugleich beschirmt vom Fürstbischof, war es die lebendigste Stadt im ganzen Land gewesen. Doch als ich jetzt hier landete und mich auf den Weg zum Offiziersquartier machte, schien sie so ausgestorben wie keine andere. Schutt, zerbrochenes Glas, der Geruch von verbrannter Farbe und geborstenem Verputz, die lange, menschenleere Straße, soweit das Auge reichte – dieses Bild gemahnte mich an eine Hauptverkehrsader in London in den frühen Morgenstunden nach der Entwarnung; man erwartete geradezu, ein Plakat mit der Aufschrift »Vorsicht! Blindgänger!« zu sehen.
    Die Vorderwand des Offiziersgebäudes war weggeschossen worden, und die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite lagen in Trümmern. Während wir von Nam Dinh flußabwärts fuhren, hatte mir Leutnant Peraud erzählt, was sich ereignet hatte. Er war ein ernster junger Mann, ein Freimaurer, und für ihn war dies gewissermaßen ein Strafgericht über die abergläubischen Anschauungen seiner Mitmenschen. Der Bischof von Phat Diem hatte einmal Europa besucht und sich dort die Verehrung Unserer Lieben Frau von Fatima angeeignet – jener Vision der Heiligen Jungfrau, die nach der Überzeugung der Katholiken einer Gruppe von Kindern in Portugal erschienen war. Nach seiner Rückkehr ließ er ihr zu Ehren auf dem umfriedeten Domplatz eine Grotte errichten und beging ihren Festtag alljährlich mit einer feierlichen Prozession. Die Beziehungen zwischen dem Bischof und dem Oberst, der die französischen und vietnamesischen Streitkräfte in diesem Abschnitt befehligte, waren stets sehr gespannt gewesen, seit die Behörden die private Armee des Bischofs aufgelöst hatten. In diesem Jahr aber hatte der Oberst – den eine gewisse Sympathie mit dem Bischof verband, weil beiden ihr Land wichtiger erschien als die katholische Religion – eine Geste der Freundschaft gemacht und war mit den Offizieren seines Stabes an der Spitze der Prozession marschiert. Niemals zuvor hatte sich in Phat Diem eine größere Volksmenge versammelt, um Unserer Lieben Frau von Fatima ihre Verehrung darzubringen. Selbst viele Buddhisten – die rund die

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