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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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für sie: »Import und Export. Sie kann stenographieren.«
    »Ich wollte, wir hätten mehr Angestellte mit ihren Fähigkeiten in unserer Wirtschaftsmission.«
    »Ich werde mit ihr sprechen«, sagte Phuong. »Sie würde gern für die Amerikaner arbeiten.«
    Nach dem Dinner tanzten sie noch einmal. Ich bin auch ein schlechter Tänzer, und ich besaß nicht Pyles Unbefangenheit – oder, so überlegte ich, hatte ich sie in jenen Tagen, als ich mich in Phuong verliebte, etwa doch besessen? Es mußte vor jener denkwürdigen Nacht von Miss Heis Unpäßlichkeit oftmals vorgekommen sein, daß ich im »Grand Monde« mit Phuong tanzte, nur um mich mit ihr unterhalten zu können. Eine solche Gelegenheit ergriff Pyle nicht, während sie jetzt aufs neue um das Parkett kreisten. Er war etwas entspannter, das war alles, und er hielt seine Partnerin nicht mehr auf Armeslänge von sich; aber beide waren schweigsam. Ich blickte auf Phuongs Füße, ihre schwerelosen und exakten Tanzschritte, die selbst Pyles Dahinstolpern meisterten, und war auf einmal wieder verliebt. Ich konnte es kaum glauben, daß sie in einer Stunde oder zwei mit mir zurückkehren würde in mein schäbiges Zimmer, mit der Gemeinschaftstoilette draußen und den alten Weibern, die auf dem Treppenabsatz hockten.
    Ich wünschte, das Gerücht über Phat Diem wäre mir niemals zu Ohren gekommen, oder es hätte sich auf irgendeinen anderen Ort bezogen als ausgerechnet auf die eine Stadt im Norden, wo mir meine Freundschaft mit einem französischen Marineoffizier gestatten würde, ohne Zensur und ohne Kontrolle hineinzuschlüpfen. Ein Zeitungsknüller? Nicht in jenen Tagen, wo die ganze Welt nur auf Nachrichten aus Korea wartete. Eine Gelegenheit, den Tod zu finden? Weshalb sollte ich sterben wollen, wenn Phuong jede Nacht neben mir schlief? Doch ich wußte die Antwort auf diese Fragen. Von Kindheit an hatte ich nie an Beständigkeit geglaubt und mich doch danach gesehnt. Unablässig beherrschte mich die Angst, ich könnte das Glück verlieren. Noch diesen Monat, oder nächstes Jahr, würde Phuong mich verlassen. Und wenn nicht nächstes Jahr, so in drei Jahren. Der Tod war der einzige absolute Wert in meiner Welt. Wer das Leben verlor, konnte für alle Ewigkeit nie wieder irgend etwas verlieren. Ich beneidete jene, die an einen Gott glauben konnten, und mißtraute ihnen; ich hatte das Gefühl, daß sie mit Hilfe einer Fabel vom Unveränderlichen und ewig Bestehenden ihren Mut aufrechterhielten. Dem Tod kam viel größere Gewißheit zu als Gott, und mit dem Tod würde die Gefahr, daß die Liebe mit jedem Tag sterben konnte, ein Ende finden. Der Alptraum einer Zukunft voll Langeweile und Gleichgültigkeit würde mir genommen werden. Ich hätte nie ein Pazifist sein können. Einen Menschen töten hieß mit Sicherheit, ihm eine unermeßliche Wohltat zu erweisen. O ja, allenthalben liebten die Leute ihre Feinde. Nur ihre Freunde verschonten sie, damit sie das Leid und die Leere erleben konnten.
    »Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen Miss Phuong entführt habe«, sagte Pyles Stimme.
    »Ach, ich bin kein Tänzer, aber ich sehe ihr gern beim Tanzen zu.« So sprach man stets von ihr: in der dritten Person, als wäre sie gar nicht anwesend. Bisweilen schien sie unsichtbar zu sein wie der Friede.
    Die erste Kabarettvorstellung des Abends begann: eine Sängerin, ein Jongleur, ein Komiker – er war sehr obszön, aber als ich zu Pyle hinüberblickte, stellte ich fest, daß er dieser Art Sprache offensichtlich nicht folgen konnte. Er lächelte, wenn Phuong lächelte, und lachte unbehaglich, wenn ich lachte. »Ich möchte nur wissen, wo Granger jetzt ist«, sagte ich, und Pyle warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu.
    Dann kam die Hauptattraktion des Abends: eine Truppe von Schauspielern, die Frauen imitierten. Ich hatte die meisten von ihnen schon im Laufe des Tages in der Rue Catinat auf und ab schlendern sehen, in alten Flanellhosen und Pullovern, mit einem bläulichen Bartschatten ums Kinn und sich in den Hüften wiegend. Jetzt, in tiefausgeschnittenen Abendkleidern, mit falschem Schmuck und falschen Brüsten und rauchigen Stimmen, wirkten sie mindestens ebenso begehrenswert wie die meisten europäischen Frauen in Saigon. Eine Gesellschaft von jungen Luftwaffenoffizieren pfiff ihnen zu, und sie lächelten glamourös zurück. Ich war überrascht von der plötzlichen Heftigkeit, mit der Pyle protestierte. »Fowler«, sagte er, »gehen wir. Wir haben genug gesehen, nicht wahr? Das ist

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