Der stille Amerikaner
vor Phuong, dann brachte er sie an den Tisch zurück und rückte ihr den Stuhl zurecht. Ich konnte es ihr ansehen, daß ihr seine förmliche Art gefiel. Wie vieles sie in ihrer Beziehung zu mir vermissen mußte, dachte ich.
»Das ist Phuongs Schwester, Miss Hei«, wandte ich mich an Pyle.
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er und errötete.
»Sie kommen aus New York?« fragte sie.
»Nein, aus Boston.«
»Das liegt auch in den Vereinigten Staaten?«
»O ja, ja.«
»Ist Ihr Herr Vater Geschäftsmann?«
»Nein, eigentlich nicht. Er ist Professor.«
»Ein Lehrer?« fragte sie mit einem Anflug von Enttäuschung.
»Nun, er ist gewissermaßen eine Autorität, wissen Sie. Die Leute konsultieren ihn.«
»Wegen ihrer Gesundheit? Ist er Doktor?«
»Nicht die Sorte Doktor, an die Sie denken. Er ist ein Doktor-Ingenieur. Er weiß alles über Unterwassererosion. Haben Sie eine Ahnung, was das ist?«
»Nein.«
Pyle machte einen schwachen Versuch, humorvoll zu sein: »Na, dann will ich es meinem Dad überlassen, Ihnen das zu erklären.«
»Ist er denn hier?«
»Ach, nein.«
»Aber er kommt her?«
»Nein. Das war nur ein Scherz«, sagte Pyle entschuldigend.
»Haben Sie vielleicht noch eine Schwester?« fragte ich Miss Hei.
»Nein. Weshalb?«
»Weil es so klingt, als wollten Sie Mr. Pyles Heiratswürdigkeit überprüfen.«
»Ich habe nur eine Schwester«, sagte Miss Hei und griff nach Phuongs Knie, das sie mit fester Hand umklammerte, wie der Vorsitzende in einer Debatte seine Glocke, wenn er zur Ordnung ruft.
»Sie ist eine sehr hübsche Schwester«, sagte Pyle.
»Sie ist das schönste Mädchen in ganz Saigon«, erwiderte Miss Hei, als wolle sie sein Urteil korrigieren.
»Das glaube ich gern.«
»Es ist Zeit, daß wir unser Dinner bestellen«, sagte ich. »Selbst das schönste Mädchen von Saigon muß essen.«
»Ich bin nicht hungrig«, erklärte Phuong.
»Sie ist sehr zart«, fuhr Miss Hei mit Entschiedenheit fort. In ihrer Stimme lag ein drohender Unterton. »Sie braucht Fürsorge. Sie verdient Fürsorge. Sie ist sehr, sehr treu.«
»Mein Freund ist ein Glückspilz«, sagte Pyle ernst.
»Sie liebt Kinder«, sagte Miss Hei.
Ich lachte und fing dabei Pyles Blick auf; er betrachtete mich schockiert und erstaunt, und plötzlich wurde mir klar, daß er dem, was Miss Hei zu sagen hatte, aufrichtiges Interesse entgegenbrachte. Während ich das Dinner bestellte (trotz Phuongs Beteuerung, sie sei nicht hungrig, wußte ich, daß sie ein ausgiebiges Beefsteak tatare mit zwei rohen Eiern und so weiter wohl vertragen konnte), hörte ich zu, wie er die Kinderfrage ernsthaft erörterte. »Ich habe mir schon immer gedacht, daß ich viele Kinder haben möchte«, erklärte er. »Eine große Familie ist ein wunderbarer Lebenszweck. Sie festigt die Ehe. Und auch für die Kinder ist das gut. Ich war ein Einzelkind, und das ist ein großer Nachteil.« Nie zuvor hatte ich ihn so viel reden hören.
»Wie alt ist Ihr Herr Vater?« fragte Miss Hei in ihrer Unersättlichkeit.
»Neunundsechzig.«
»Alte Leute lieben Enkelkinder. Es ist sehr traurig, daß meine Schwester keine Eltern mehr hat, die sich an ihren Kindern erfreuen könnten. Wenn der Tag kommt«, fügte sie mit einem unheildrohenden Blick auf mich hinzu.
»Und daß Sie auch keine mehr haben«, ergänzte Pyle, wie mir schien, ziemlich überflüssigerweise.
»Unser Vater stammte aus einer überaus vornehmen Familie. Er war ein Mandarin in Hue.«
»Ich habe für euch alle Dinner bestellt«, sagte ich.
Miss Hei erhob Einspruch: »Nicht für mich! Ich muß zu meinen Bekannten zurückgehen. Mr. Pyle würde ich sehr gern einmal wiedersehen. Vielleicht könnten Sie es so einrichten.«
»Wenn ich aus dem Norden zurückkomme«, erwiderte ich.
»Sie gehen nach dem Norden?«
»Ja, ich glaube, es ist Zeit, daß ich mir den Krieg ansehe.«
»Aber die gesamte Presse ist doch schon zurückgekommen«, meinte Pyle .
»Das ist für mich die günstigste Zeit. So brauche ich nicht mit Granger zusammenzutreffen.«
»Sie müssen zu meiner Schwester und zu mir zum Dinner kommen, wenn Monsieur Fowlair fort ist.« Und mit mißmutiger Höflichkeit fügte Miss Hei hinzu: »Um sie aufzuheitern.«
Nachdem sie gegangen war, sagte Pyle: »Was für eine charmante, kultivierte Frau. Und sie spricht so gut Englisch.«
»Sag’ ihm, daß meine Schwester einmal in Singapur gearbeitet hat«, forderte mich Phuong voll Stolz auf.
»Wirklich? Was denn?«
Ich übersetzte
Weitere Kostenlose Bücher