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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Lieblingspfeife zerbrochen; im Wohnzimmer wartete ein Kinderhemd auf einen fehlenden Knopf. »Private Gründe«: wenn ich im Presseklub trank, wollte ich nicht durch Witze an Phuong erinnert werden.
    Es klopfte. Ich öffnete Pyle die Tür, und noch vor ihm kam sein schwarzer Hund herein. Pyle blickte über meine Schulter ins Zimmer und fand es leer. »Ich bin allein«, sagte ich. »Phuong ist bei ihrer Schwester.« Er errötete. Ich bemerkte, daß er ein Hawaii-Hemd trug, wenngleich dieses in Farbe und Muster verhältnismäßig zurückhaltend war. Das überraschte mich: Hatte man ihm etwa unamerikanisches Verhalten vorgeworfen? Pyle sagte: »Ich hoffe, ich störe nicht …«
    »Aber keineswegs! Einen Drink?«
    »Ja, bitte. Könnte ich Bier haben?«
    »Leider. Wir haben keinen Kühlschrank – wir lassen uns das Eis immer holen. Wir wär’s mit einem Whisky?«
    »Nur einen ganz kleinen, wenn ich bitten darf. Ich habe nicht viel übrig für harte Getränke.«
    »Eiswürfel?«
    »Bitte, und reichlich Soda – wenn Sie genug davon haben.«
    Ich sagte: »Wir haben uns seit Phat Diem nicht mehr gesehen.«
    »Haben Sie meinen Brief bekommen, Thomas?«
    Als er mich jetzt mit dem Vornamen anredete, war es gewissermaßen wie eine Erklärung, daß er nicht im Scherz gesprochen, daß er nicht eine andere Tätigkeit getarnt hatte, daß er vielmehr hier war, um Phuong zu bekommen. Ich bemerkte, daß sein Bürstenschnitt frisch gestutzt war; erfüllte vielleicht auch das Hawaii-Hemd die Aufgabe eines männlichen Prachtgefieders?
    »Ich habe Ihren Brief bekommen«, antwortete ich, »ich nehme an, ich sollte Sie niederschlagen.«
    »Natürlich, Thomas«, sagte er. »Sie haben jedes Recht dazu. Aber ich war Boxer im College – und ich bin um vieles jünger als Sie.«
    »Nein, ich würde unklug handeln, nicht wahr?«
    »Wissen Sie, Thomas, es gefällt mir nicht, daß wir hinter Phuongs Rücken über sie reden, und ich bin sicher, Sie denken ebenso. Ich dachte, sie würde hier sein.«
    »Nun, worüber sollen wir sprechen – über Kunststoff?« Ich hatte nicht die Absicht gehabt, ihn so zu überrumpeln.
    Er sagte: »Sie wissen davon?«
    »Phuong hat es mir erzählt.«
    »Wie konnte sie nur …«
    »Sie können versichert sein, daß es Stadtgespräch ist. Was ist denn so wichtig daran? Verlegen Sie sich etwa auf das Spielwarengeschäft?«
    »Wir haben es nicht gern, wenn die Einzelheiten unseres Hilfsprogramms die Runde machen. Sie wissen ja, wie der Kongreß ist – und dann kommen diese Senatoren zu Besuch angereist. Wegen unserer Trachom-Teams hatten wir schon eine Unmenge Scherereien, weil sie statt eines bestimmten Medikaments ein anderes verwendeten.«
    »Aber die Sache mit dem Kunststoff begreife ich noch immer nicht.«
    Sein schwarzer Hund saß auf dem Boden, hechelnd, und nahm viel zuviel Platz ein; seine Zunge sah wie ein verbrannter Pfannkuchen aus. Pyle sagte vage: »Ach, wissen Sie, wir wollen einigen einheimischen Industrien auf die Beine helfen, und wir müssen uns dabei vor den Franzosen in acht nehmen. Die wollen, daß alles in Frankreich gekauft wird.«
    »Daraus mache ich ihnen keinen Vorwurf. Zum Kriegführen braucht man Geld.«
    »Haben Sie Hunde gern?«
    »Nein.«
    »Ich dachte, die Briten seien große Hundeliebhaber.«
    »Und wir glauben, die Amerikaner lieben Dollars, aber es muß wohl Ausnahmen geben.«
    »Ich weiß nicht, was ich ohne Herzog täte. Wissen Sie, manchmal fühle ich mich so verdammt einsam …«
    »Sie haben doch eine Menge Kameraden in Ihrer Abteilung.«
    »Der erste Hund, den ich hatte, hieß Prinz. Ich nannte ihn so nach dem Schwarzen Prinzen. Sie kennen ihn ja, den Mann, der …«
    »Sämtliche Frauen und Kinder in Limoges niedermetzeln ließ.«
    »Das ist mir nicht bekannt.«
    »Ja, die Geschichtsbücher gehen diskret darüber hinweg.«
    Noch oft sollte ich diesen Ausdruck von Schmerz und Enttäuschung in seinen Augen und um seinen Mund sehen, wenn die Wirklichkeit seinen romantischen Vorstellungen widersprach, oder wenn ein Mensch, den er liebte oder bewunderte, unter das unerreichbar hohe Niveau herabsank, das er festgesetzt hatte. Ich entsinne mich, daß ich bei York Harding einmal einen groben sachlichen Fehler entdeckte, und ich mußte Pyle trösten: »Irren ist schließlich nur menschlich.« Er hatte nervös gelacht und gesagt: »Sie halten mich wahrscheinlich für einen Narren, aber – nun, ich hielt ihn eigentlich für unfehlbar.« Er fügte hinzu: »Mein Vater traf ihn ein einziges

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