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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Dinge zu erledigen, der Haushalt und Behördengänge. Für das Kind war auch dann keine Zeit. Da gab es nur Ermahnungen. Manchmal dachte er daran, mit dem Kind einen Treffpunkt weitab von seiner Wohnung zu vereinbaren. Sie hätten in seinem Wagen spazierenfahren können. Es wäre die beste Lösung gewesen. Er hätte beim geringsten Anlaß zur Besorgnis die Konsequenzen ziehen können. Doch was ihm vorschwebte, war nicht so eine kurze Beziehung. Der alte Traum hatte ihn wieder gepackt, ein Kind um sich zu haben wie seine Tochter. Tag für Tag! Und nachts immer in erreichbarer Nähe. Ein Kind, das ihm vertraute, das genau wußte, er wollte ihm nichts Böses. Für die Nächte mußte es ein Traum bleiben, das war ihm durchaus bewußt, aber für die Tage… Wenn es auf ein Wochenende zuging, nahm er sich fest vor, diesmal ganz gewiß zu einer Fahrt aufzubrechen. Immer sagte er sich, daß es ihn für einige Zeit beruhigen würde, daß er mit dem Mädchen ja ohnehin nichts im Sinn habe. Weil da die Nachbarn waren, die leicht etwas hören oder sehen konnten, weil es selbst wahrscheinlich noch das größere Risiko darstellte. Doch wenn dann der Samstag kam, konnte er sich nicht aufraffen, fand alle möglichen Ausreden. Daß es noch zu kalt war, zu feucht, daß er wieder vergebens fahren würde, weil bei solchem Wetter ohnehin keine Kinder im Freien spielten. Er machte sich selbst etwas vor und ahnte das auch. In Wahrheit saß ihm das Mädchen bereits tief in den Knochen. Und montags war es dann wieder da. Und mittwochs, donnerstags, freitags. Wenn er von der Arbeit kam, schaute es ihm entgegen, wartete jedesmal darauf, daß er stehenblieb und ein paar Worte mit ihm sprach. Und eines Tages fragte er dann. Das war schon Ende Februar. Er wollte es gar nicht, hatte den Tag über in der zugigen Lagerhalle gearbeitet, war durchgefroren und steif von der Kälte. Der Rücken tat ihm weh vom ständigen Bücken und dem Heben der schweren Kartons. Auf dem Heimweg hatte er noch rasch ein paar Einkäufe erledigt und dabei die alleinstehende Frau aus der Nachbarwohnung getroffen. Daher wußte er, daß sie jetzt nicht daheim war, folglich auch nicht hören konnte, wenn er zusammen mit dem Kind die Treppen heraufkam.
    »Ist dir eigentlich nie kalt?« fragte er im Vorbeigehen und zog bereits den Schlüssel aus der Tasche.
    »Wenn ich stundenlang auf der Straße stehen müßte, wäre ich völlig durchgefroren.«
    »Ein bißchen schon«, erklärte das Kind, und wie zum Beweis zog es die Schultern enger zusammen. Er lächelte, neigte den Kopf zur Seite, ehe er sich erkundigte:
    »Du wartest wohl wieder auf deinen Freund, was?« Das Kind schüttelte heftig den Kopf, erklärte gleichzeitig:
    »Nein, zu dem gehe ich doch nicht mehr.« Da war ihm klar, daß es nur noch auf ihn wartete.
    »Möchtest du vielleicht für eine halbe Stunde mit mir hinaufkommen?« fragte er, während er endlich den Schlüssel einsteckte. Und lächelnd fügte er hinzu:
    »Ich habe aber kein Kaninchen in der Wohnung.« Das Kind lachte, warf dem Schaufenster noch einen Blick zu, nickte dabei bereits.
    »Das ist doch auch nicht so wichtig«, sagte es und folgte ihm dann ins Haus.Über den Traum von der Uhr und seine Bedeutung habe ich in all den Jahren nur einmal mit Franz gesprochen; kurz nach unserem zehnten Hochzeitstag war das. Franz hat nicht gelacht, nicht einmal gelächelt, nur zugehört und dann genickt.
    »Warum soll es das nicht geben«, meinte er ,»ich hab’ dir ja schon mal gesagt, du hast was an dir, Siggi.« Er hat mir vermutlich kein Wort geglaubt. Er hat auch nicht begriffen, warum ich ihm von der Uhr erzählte. Weil ich nach dreizehn Jahren wieder davon geträumt hatte, von dem erbarmungslosen Braunen in seinem Kapuzenmantel, der Großmutters Uhr so lange mit einem Hämmerchen bearbeitete, bis nichts mehr davon übrigblieb. Der mir nie einen Namen nannte, nie ein Gesicht zeigte, der mir nur drei Tage vorher einen Tod ankündigte. Der vielleicht versuchte, mich zu warnen. Aber die Art, wie er es tat, ließ nicht zu, daß ich etwas verhindern konnte. Es war nicht so, daß ich in Panik geraten wäre, jedenfalls nicht gleich. Ich hatte nicht einmal richtige Angst, es könnte jemand sterben, nicht mehr nach all den ruhigen Jahren. Am ersten Tag dachte ich nur, vergiß es, Siggi, vergiß es einfach, es hat keine Bedeutung mehr. Am zweiten Tag überlegte ich mir, daß ich vielleicht doch besser mit Franz darüber reden und mir einmal anhören sollte, wie er

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