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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Füßen nach den Pantoffeln angeln, in den Morgenrock schlüpfen und hinunter in den Keller steigen. Von der Wäsche, die ich am Vorabend aufgehängt hatte, waren nur ein paar dünne Teile getrocknet. Ich nahm sie mit hinauf, ließ den Rest hängen. In der Waschküche trocknete die Wäsche nicht so schnell wie an der frischen Luft, und das Fenster mochte ich über Nacht nicht offen lassen. Keines der Kellerfenster war vergittert. Franz hatte das damals noch tun wollen, aber er hatte so vieles noch tun wollen. Viertel vor sechs. Zeit zum Frühstück, Nicole zu wecken, zu versorgen, zu ermahnen, zur Schule zu schicken und anschließend selbst zum Bus zu hetzen, im Bahnhof Horrem den Stadtanzeiger zu kaufen. An dem Freitag morgen sollte die Annonce noch einmal erscheinen, die gleiche wie damals. Am Abend vorher hatte ich noch gehofft, daß sich daraufhin eine zweite Frau Humperts melden würde. Ich brauchte eine zweite Frau Humperts, eine liebevolle, ältere Frau, die sich nachmittags um Nicole kümmerte. Die ihr mittags eine warme Mahlzeit vorsetzte und in den Schulferien auch vormittags für sie da war. Am Abend vorher hatte ich an gar nichts anderes denken können. Und plötzlich war es so nebensächlich wie eine kleine Wolke, die bei Neumond über den Himmel schleicht.An einem Montag im April kam das Kind direkt vom Spielen zu ihm. Bis dahin hatte der Mann sich mit den Fotografien notdürftig über Wasser gehalten und dabei vor sich hin geträumt. Es war nur ein billiger Ersatz, und an dem Tag wurde ihm das so deutlich bewußt. Das Kind wollte sich an den Tisch setzen, da sagte der Mann:
    »Sieh dir mal deine Hose an, die ist ganz schmutzig. Du wirst mir den Sessel damit verderben.« Die Idee mit den kleinen Tabletten in der Limonade hatte er gründlich durchdacht und endgültig verworfen. Es wäre möglich gewesen, hätte das Kind einmal bei ihm übernachten können. In solch einem Fall hätte er am nächsten Morgen genügend Argumente gefunden, die Benommenheit zu erklären. Doch an eine Übernachtung war nicht zu denken. Und so weitermachen wie bisher konnte er auch nicht. Es sollte schon eine kleine Steigerung geben. Deshalb lachte er gleich nach seinen Worten gutmütig auf, sprach weiter in harmlosem Ton.
    »Wenn ich dich so ansehe, nicht nur deine Hose ist schmutzig. Wäschst du dich eigentlich nie?« Das Mädchen wurde ganz verlegen, senkte den Kopf und behauptete, es würde sich regelmäßig waschen.
    »So siehst du aber nicht aus«, sagte er.
    »Aber du brauchst dich deshalb nicht zu schämen. In deinem Alter wäre es eigentlich noch Sache deiner Mutter, dafür zu sorgen, daß du sauber und ordentlich herumläufst.« Dann ging er ins Bad, ließ Wasser in die Wanne laufen, lachte wieder dabei, ganz leicht und unverfänglich.
    »Na los«, sagte er, und es klang immer noch harmlos ,»ab mit dir ins Wasser! Jetzt wäschst du dich erst mal gründlich, dann bist wenigstens du schon einmal sauber. Ich lege ein Tuch auf den Sessel, damit du ihn mir mit der Hose nicht verdirbst.« Er ließ es eine Weile planschen, erzählte dabei von seiner Tochter, von den ersten Jahren und daß seine Tochter jetzt schon erwachsen sei und eigene Kinder habe, die er regelmäßig besuche. Daß seine Enkelkinder vor Freude immer ganz närrisch würden, wenn er kam. Daß sie ihm all ihre Geheimnisse anvertrauten. Und daß er deshalb verstehen könne, wie ein Kind sich fühle. Während er sprach, stand er bei der Tür und schaute nur zu, wie es sich in der Wanne rekelte, hier und dort mit den Händen über die Haut rubbelte. Erst als er das Zittern im Innern kaum noch ertragen konnte, sagte er:
    »So geht das aber nicht, das macht man mit Seife.« Und noch bevor das Kind dagegen protestieren konnte, war er neben der Wanne, zog es an einem Arm in die Höhe. Als es dann vor ihm stand, griff er nach dem Seifenstück. Während er das Kind wusch, erklärte er, daß man bestimmte Stellen besonders gründlich und regelmäßig säubern müsse, mindestens zweimal am Tag, weil es dort leicht zu Entzündungen kommen könne. Und daß man es am besten mit den Fingern mache, weil man damit einfach besser in alle Winkel käme als mit einem Lappen oder mit dem Schwamm. Das gelte für Jungen ebenso wie für Mädchen. Dem Kind war ganz offenbar peinlich, was er da trieb. Es verzog voller Abwehr sein Gesicht, wollte wohl auch ein paarmal mit den Händen nach ihm schlagen. Aber irgendwie blieben die Bewegungen im Ansatz stecken, nur steif machte es sich,

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