Der stille Herr Genardy
Nicole hatte es erst vor ein paar Wochen von ihm gelernt, erst einmal nur die Grundbegriffe, wie die Figuren aufgestellt werden und wie sie ziehen dürfen. Sie verlor noch jedesmal, aber das störte sie nicht. Während die beiden vor dem Tisch im Wohnzimmer saßen, schob ich zwei Pizzen in den Ofen. Wann hatte ich denn zum letztenmal an einem Wochentag richtig gekocht? Es war alles verkehrt gelaufen, alles verkehrt. Mit welchen Idealen war ich vor sechzehn Jahren vor den Altar getreten! Eine treue Ehefrau und eine gute Mutter wollte ich sein. Eine treue Ehefrau war ich gewesen, aber auch nur eine treue. Das wußte ich, seit Günther mir zum erstenmal die Bluse aufgeknöpft hatte. Als ich dachte, mir würde das Herz stehenbleiben. Als mir das ganze Blut aus dem Kopf in den Bauch lief. Als mir nur noch ein Wort durch das Vakuum da oben geisterte. Ja, ja, ja! Und eine gute Mutter… Ich war keine gute Mutter. Gute Mütter sind daheim und kümmern sich um ihre Kinder. Überlassen sie nicht ihren Mieterinnen und sind auch noch froh, daß sie auf diese Weise die Verantwortung abwälzen können. Franz, hilf mir doch! Du mußt doch wissen, wer gemeint ist. Du kannst doch nicht zulassen, daß der Braune Nicole holt. Oder willst du sie bei dir haben? Willst du mich auf diese Weise bestrafen? Das kann ich verstehen. Da sitzt ein Mann in meinem Wohnzimmer. Ich kenne ihn noch nicht lange, und ich weiß nicht viel von ihm. Aber wenn Nicole gleich in ihrem Zimmer verschwunden ist, werde ich mir wünschen, ich könnte in den Keller gehen und duschen. Er würde in der Zeit die Couch ausklappen, und wenn ich dann zurückkäme, würde er mich ausziehen. Er zieht mich gerne aus, hat er mir gesagt. Deshalb ziehe ich mich nach dem Duschen immer komplett wieder an. Es ist nicht mehr so wie früher, Franz. Ich mag es, was er mit mir macht. Ich mag alles, was er macht. Wie er mich küßt. Ich habe dabei nicht das Gefühl, daß er mich mit seiner Zunge ersticken will. Wie er mich anschaut. Er hat noch nie gesagt, daß ihn etwas an mir stört, kein Härchen und ganz gewiß nicht der Busen. Ich weiß, Franz, ich weiß, du hast es auch nie gesagt, aber du hast es mich immer so deutlich fühlen lassen. Und ich mag es, wenn er mich auszieht. Er tut es ganz langsam. Ich mag es, wenn er mich anfaßt. Es geht wie ein Stromschlag durch den ganzen Körper. Und wenn er mich dann liebt, höre ich auf zu denken. Er liebt mich nicht wirklich, Franz, er wird mir auch nicht helfen. Er kommt nur aus einem Grund. Es ist der Sex. Darin ist er gut, jedesmal ein bißchen anders, einmal sanft und einmal wild, einmal hart und schnell und einmal ausdauernd, eine halbe Nacht hindurch. Und heute gar nicht. Heute werde ich nur neben einem Telefon sitzen. Es ist alles schiefgelaufen, Franz. Es tut mir so leid. Nicole und ich teilten uns eine Pizza, Günther bekam die zweite. Er legte mir Geld dafür hin. Ich fand es erst am nächsten Morgen. Nach dem Essen spielte er die Partie mit Nicole zu Ende. Anschließend balgten sie auf der Couch herum. Während ich die Küche aufräumte, hörte ich Nicole quietschen und jauchzen, dazwischen seine Stimme. Er war nur der Mann, der mit mir schlief, aber er war bestimmt ein guter Vater. Um acht setzte er sich vor den Fernseher, um sich die Tagesschau anzusehen. Während ich mir einen Stuhl nahm und hinaufging und Nicole sich im Keller die Zähne putzte. Sie sollte auch duschen, aber sie kam zu mir nach oben.
»Frau Humperts hat gesagt, heute kann ich baden. Heute gehört uns das ganze Haus, hat sie gesagt. Sie hat mir extra ihr Schaumbad dagelassen.« Nach der Tagesschau kam auch Günther herauf. Er brachte sich ebenfalls einen Stuhl mit. Bis dahin hatte noch niemand angerufen. Ich wünschte mir, es würde auch keiner anrufen. Ich wünschte mir, ich hätte immer so auf einem Stuhl sitzen können, während mein Kind ausgelassen in einer randvollen Wanne planschte, während mir ein Mann gegenübersaß, der eine Zigarette rauchte, mich dabei die ganze Zeit anschaute und schon ungeduldig wurde. Der erste Anruf kam kurz nach halb neun. Der Stimme nach ein sehr junger Mann. Er fragte zuerst nach dem Mietpreis und versuchte gleich, zu handeln. Er sei noch in der Ausbildung. Er wolle zusammen mit seiner Freundin einziehen, und die sei arbeitslos. Günther schaute sich an, wie ich herumstotterte. Alleinstehende, ältere Dame! War das denn nicht deutlich genug gewesen? Ich brauchte eine sogenannte solvente Mieterin. Ich brauchte das Geld,
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