Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
Vom Netzwerk:
Kleidern für neue Barbie-Puppen und Kunstsprüngen vom Dreimeterbrett im Hallenbad. Denise Kolling hatte noch zwei kleinere Brüder, deshalb war ihre Mutter nicht berufstätig. Frau Kolling hatte bestimmt Erfahrung mit Kinderkrankheiten. Sie würde auch ganz bestimmt einen Arzt rufen, wenn mit Nicole etwas nicht in Ordnung war. Es war eine Lösung für den Samstag, aber ich hätte darauf bestehen müssen, daß sie zu meiner Mutter ging. Ich hätte hart bleiben müssen. Meiner Mutter hätte ich mit einem Satz klarmachen können, was uns bevorstand. Hätte, hätte, hätte! Ich hatte noch nie hart sein können. Bevor ich mich hinlegte, schaute ich noch einmal nach ihr. Es war alles in Ordnung, sie schlief. Und obwohl sie sich die Decke wie üblich bis an den Hals gezogen hatte, war ihre Stirn kühl. Und dann der Samstag, ein einziger Greuel. Als ich aus dem Haus wollte, lag Nicole noch im Bett.
    »Was ist denn? Fühlst du dich nicht gut?« Sie war so träge, reckte und streckte sich unter der Decke, blinzelte zur Tür hin.
    »Doch.«
    »Und warum bist du dann noch nicht aufgestanden?«
    »Heute ist Samstag, Mama, da kann ich ausschlafen.« Dieser belehrende Ton, fast so wie Hedwig früher.
    »Aber du denkst daran, daß du um acht zu Denise gehst.« Sie verdrehte die Augen, legte ein Pfund Gönnerhaftigkeit und Nachsicht in ihre Stimme. Zuerst das gedehnte Mama, als ob sie mit einem begriffsstutzigen Kind spräche.
    »Du weißt doch, daß ich hierbleiben muß, bis Frau Humperts wegfährt. Sie gibt mir die Schlüssel. Und wenn sie mir die gegeben hat, gehe ich zu Denise, sofort.« In der Nacht hatte ich geträumt, daß Franz sie auf dem Arm zum Auto trug, daß er sie mitnahm auf seine letzte Fahrt. Ich hatte geschrien im Traum, so laut geschrien, daß ich davon aufgewacht war. Und als ich dann wieder einschlief, hatte ich weitergeträumt. Wie ein Videofilm, den man nur kurz unterbrochen hat, um zur Toilette zu gehen. Franz war mit ihr zu einem Garten gefahren. Der Garten war sehr verwildert, mehr Unkraut als sonst etwas. Es war alles ganz friedlich, und Franz behielt sie die ganze Zeit auf dem Arm. Aber beruhigt hatte der Traum mich nicht, im Gegenteil. Ich war davon überzeugt, daß ich nur zu früh aufgewacht war. Und wenn ich nicht zu früh aufgewacht wäre, dann hätte ich noch gesehen, daß irgendwo zwischen dem Unkraut eine Badewanne stand. Daß Franz sie hineinlegte, daß er sich auf den Rand setzte, daß er sie fragte, ob er ihr den Rücken waschen dürfe, vielleicht auch vorne ein bißchen.
    »Nur ein bißchen, Siggi, es ist doch nichts dabei. Ich find’ das schön. Du mußt dich doch vor mir nicht schämen. Du bist doch mein kleines Mädchen.« Gott, wie habe ich das gehaßt, wie habe ich das verabscheut, wenn er dann die Seife nahm, einen Finger in mich hineinbohrte. Manchmal brannte es höllisch, weil er noch Seifenreste unter den Fingernägeln hatte. Und dieser Ausdruck auf seinem Gesicht, so verträumt und so eifrig.
    »Gefällt es dir, Siggi? Es ist doch schön so, oder?« Wie ich da bei der Tür zu Nicoles Zimmer stand und sie im Bett liegen sah, da wußte ich genau, Franz war tot. Und selbst wenn er noch gelebt hätte, er hätte ihr nie etwas getan, ihr nie. Er hatte doch mich. Aber ich hatte ihn verraten. Mein Versprechen nicht gehalten, meinen Schwur gebrochen, mich mit einem anderen Mann eingelassen. Ich hätte beinahe den Bus verpaßt, weil ich noch so lange mit Nicole diskutierte. Im Zug glaubte ich dann, ich würde den Verstand verlieren, noch ehe ich in Köln war. Aber ich kam an und konnte immer noch denken.Er ging zurück zu seinem Wagen, fuhr zurück zu seiner Wohnung. Beruhigte sich allmählich, die Wut verlor sich. Er ging gleich zu Bett und schlief ausgezeichnet. Am nächsten Tag kaufte er sich eine Zeitung, es war noch zu früh, um darin etwas über das Kind zu finden, das wußte er. Doch so hatte er es auch vor drei Jahren gemacht. Jeden Tag eine Zeitung gekauft, die Berichte gelesen, die kurz nach dem Auffinden des Kindes eine halbe Seite einnahmen, auf einem großen Foto das Kindergesicht zeigten und die Bevölkerung um Mithilfe baten. Die dann kleiner wurden, bis sie schließlich ganz verschwanden. Er hatte sich sicher gefühlt damals, er fühlte sich auch jetzt sicher, war fest überzeugt, daß kein Mensch ihn mit dem Kind zusammen gesehen hatte. Vielleicht hatte er die Zeitung nur aus Gewohnheit gekauft, weil es ein Freitag war. Abends machte er es sich in einem Sessel bequem, las im

Weitere Kostenlose Bücher