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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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ihr von der Uhr zu erzählen, damit sie endlich den Mund hielt. Vielleicht ein bißchen zu spekulieren, wen der Braune diesmal meinte. Jemanden aus der Familie, das stand fest. Anke? Aber ich konnte den Mund nicht aufmachen. Seit Nicole aus dem Haus war, war ich ganz steif. Ich hatte sie doch nicht aus den Augen lassen wollen. Aber sie war mir entwischt. Ich hatte gar keine Kontrolle mehr über sie, so wie Hedwig keine Kontrolle mehr über ihre Tochter gehabt hatte. Und jetzt saß Hedwig da, konnte nur noch warten, hoffen, beten und sich vornehmen, es in Zukunft ganz anders zu machen, wenn das Kind erst wieder bei ihr war. Ich war im ersten Augenblick so erleichtert, als es um halb fünf an der Haustür klingelte. Zuerst dachte ich, Nicole käme zurück; vielleicht waren die Kollings nicht daheim gewesen. Aber Nicole hatte einen eigenen Schlüssel. Und als ich die Tür öffnete, stand ein Mann draußen. Im ersten Moment störte mich alles an ihm. Ich hätte die Tür am liebsten gleich wieder zugemacht. Vielleicht war es nur die Enttäuschung, die Angst um Nicole. Oder es war seine Höflichkeit. Er war sehr höflich, so in der Art Kavalier alter Schule. Vielleicht war es auch sein Anzug. Er trug einen braunen Anzug und einen braunen Hut. Den Hut nahm er vom Kopf, verbeugte sich leicht.
    »Darf ich annehmen, mit der Frau des Hauses zu sprechen?« Ich dachte, guter Gott, warum redet der so geschwollen? Er lächelte, runzelte jedoch gleichzeitig die Stirn, als ich nickte. Er verbeugte sich noch einmal, stellte sich vor. Den Hut drehte er vor seinem Bauch in den Händen, während er seinen Namen nannte.
    »Josef Genardy.«
    »Pelzer«, sagte ich ganz automatisch. Er stutzte, warf einen raschen Blick zu den beiden Namensschildern neben den Klingeln. Er mochte Mitte bis Ende Fünfzig sein, war mittelgroß und schlank. Er wirkte gepflegt, obwohl der Anzug schon etwas älter zu sein schien. Dazu trug er ein weißes Hemd und eine dezent gemusterte Krawatte. Und Manschettenknöpfe! Wann hatte ich denn zuletzt einmal Manschettenknöpfe an einem Hemd gesehen? Bei unserer Hochzeit hatte Franz welche getragen, danach nie wieder. Ich konnte gar nicht anders, ich starrte Herrn Genardy an, bis er den Blick senkte. Er konnte mir nicht ins Gesicht sehen. Großmutter hatte früher immer gesagt:
    »Wenn ein Mensch dir nicht in die Augen sehen kann, Sigrid, dann hat er etwas zu verbergen.« Großmutter und ihre Lebensweisheiten. Großmutter und ihre Uhr. Wir standen immer noch bei der Tür, ich im Haus und Herr Genardy davor auf der zweiten Treppenstufe. Er erklärte mir, daß er wegen der Wohnung komme. Und wie hatte er dann hergefunden? In der Annonce hatte ich keine Adresse angegeben. Ich wollte ihn nicht hereinlassen, wollte ihn mit den gleichen Worten abwimmeln wie die beiden Interessenten am Vormittag. Doch bevor ich dazu kam, rief Mutter aus dem Wohnzimmer:
    »Sigrid, wo bleibst du denn? Wer ist denn da?« Sie kam gleich anschließend in die Diele, sah mich bei der Tür stehen und Herrn Genardy davor. Dann stand sie auch schon neben mir, schob mich sogar ein bißchen zur Seite. Sie strahlte ihn an. Das war ebenso falsch wie seine Höflichkeit. Er kniff die Augen zusammen.
    »Frau Humperts?« fragte er. Mutter schüttelte den Kopf so heftig, als sei sie entrüstet.
    »Roberts«, stellte sie sich vor,»Käthe Roberts, ich bin nur die Mutter von Frau Pelzer.« Nur die Mutter, dachte ich und hätte am liebsten geschrien. Sie ging wie ein Wasserfall auf ihn los. Bevor ich noch irgend etwas sagen konnte, hatte sie ihm erklärt, daß sie nur auf einen kurzen Besuch hier sei. Und bevor ich noch irgend etwas tun konnte, hatte sie ihn bereits hereingebeten. Mutter führte Herrn Genardy ins Wohnzimmer. Da stand Mara vor dem Tisch und manschte mit den Resten von Mutters Tortenstück herum. Mutter nahm sie auf den Arm, trug sie in die Küche, um ihr die Hände zu waschen. Dabei sprach sie weiter.
    »Nehmen Sie doch Platz, Herr Genardy. Habe ich das eben richtig verstanden, Sie sind wegen der Wohnung gekommen? Na, das nenne ich Glück. Die Wohnung ist noch frei. Wir sprachen gerade noch darüber, daß meine Tochter wohl eine zweite Annonce aufgeben muß. Also was sich bisher an Interessenten gemeldet hat… Unmöglich, sage ich Ihnen. Da fragt man sich wirklich, was die Leute sich denken.« Sie war inzwischen wieder bei der Verbindungstür, und so sah ich, daß sie den Kopf schüttelte. Sie sprach gleich weiter:
    »Meine Tochter ist verwitwet wie

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