Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
antwortete Sri.
»Was Sie brauchen, befindet sich in der Falte Ihrer Serviette. Sie verstehen sicher, dass wir gewisse Vorsichtsmaßnahmen
treffen müssen. Das geschieht nicht zu unserer Sicherheit, sondern zu Ihrer.«
Einen Moment lang verspürte Sri den Drang, ihm zu sagen, dass das Ganze eine Scharade sei, dass Euclides Peixoto vorhatte, die Informationen zu fälschen, und der grüne Heilige, den sie zweifellos verehrten, die Informationen auch gar nicht brauchte, sondern dass es ihm nur darum ging, ihre Loyalität auf die Probe zu stellen. Dieser junge Mann und Oberstleutnant Montagne glaubten wahrscheinlich, sie würden Geschichte schreiben. Stattdessen waren sie in einem Spiel gefangen, das sie nicht verstanden – überlistet, übertölpelt und verdammt. Mit nur wenigen Worten könnte sie ihnen das Leben retten. Der Drang stieg wie eine Welle der Übelkeit in ihr auf, und sie fühlte sich benommen und schwindelig. Dann war er wieder verschwunden. Sie hatte die Beherrschung zurückgewonnen.
»Ich wollte Ihnen sagen, dass es eine große Ehre ist, Ihnen zu begegnen, Dr. Hong-Owen«, sagte der junge Mann plötzlich mit einem strahlenden Lächeln. »Sie leisten großartige und bedeutsame Arbeit. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich Sie für Ihren Mut bewundere, hierhergekommen zu sein und vor diesem Komitee voller alter Narren zu stehen und ihnen die Wahrheit über unsere Brüder und Schwestern zu erzählen.«
»Unsere Brüder …?«
»Wir sind alle Gaias Kinder. Hier auf der Erde und auf allen anderen Welten. Diesen Krieg wollen nur die alten Männer – Sie und ich wissen, wie künstlich er ist. Die alten Männer wollen sich gegen die Evolution stemmen. Sie haben die Welt zu ihrem eigenen Vorteil umgestaltet, und nun fürchten sie die Veränderung, weil sie wissen, dass sie sie vom Thron stürzen wird. Ich habe Ihre Aufsätze gelesen, Dr. Hong-Owen. Dass Sie auf unserer Seite stehen, macht mich
so glücklich, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Ich weiß, Sie werden dafür sorgen, dass unser kleines Geschenk den Richtigen erreicht«, sagte der junge Mann. Damit drehte er sich um, ging durch die Tische und Stühle davon und verschwand in der wogenden Menge, die über den breiten Bürgersteig flanierte.
Eine Drohne von der Größe einer Hummel folgte ihm über die Köpfe der Menge hinweg. Sie blitzte einen Moment lang im Sonnenlicht auf, als sie den Schatten des Baumes verließ. Sri faltete die Papierserviette sorgfältig zusammen, steckte sie in ihre Tasche und ging zur Limousine zurück.
Als Sri zu ihrem Apartment zurückkehrte, spielten ihre Söhne gerade eine Art Wasserpolo in dem Swimmingpool auf der großen Terrasse. Sri blieb im Schatten bei der Terrassentür stehen und sah zu, wie die Jungen unter großem Geschrei im Wasser planschten. Alder war schnell und geschickt, aber Berry, der im Wasser kräftig und anmutig war, hatte die meiste Zeit über den Ball. Im Gegensatz zu Alder war er auf natürliche Weise empfangen worden, nachdem Sri Stamount Horne verführt hatte, ein Mitglied der Familie Peixoto, das über ein Achtel Blutsverwandtschaft verfügte und damals der zweite Kommandierende des Sicherheitsdienstes gewesen war.
In Wahrheit hatte sich Stamount Horne von ihr verführen lassen. An Intelligenz, Gerissenheit und Ehrgeiz hatte er es beinahe mit Sri aufnehmen können. Sie hätten eine wunderbare und mächtige Dynastie gründen können, aber fünf Monate nach der Empfängnis war Stamount während eines Feldzugs gegen einen aufsässigen Stamm von Banditen, der die Eisenbahnlinie, die über die Anden führte, sabotierte, ums Leben gekommen. Sri würde ihm noch lange nachtrauern. Am Mittelfinger ihrer linken Hand trug sie einen fein
verwobenen Knochenring, der aus einer Kultur seiner Osteoblasten hergestellt worden war. Und um die Erinnerung an ihn in Ehren zu halten, hatte sie Berry, der das schmucke Aussehen von seinem Vater geerbt hatte – wenn auch sonst nicht allzu viel -, keinerlei Genmanipulationen unterzogen.
Berry war ein fröhliches Kind, solange er bekam, was er wollte, aber seine Intelligenz lag kaum über dem Durchschnitt. Er war faul, und in letzter Zeit hatte er eine gewisse beiläufige Grausamkeit entwickelt. Nach einigen unangenehmen Vorfällen mit seinen Spielkameraden – glücklicherweise waren es die Kinder von Dienern gewesen – war Sri zu dem Schluss gekommen, dass man ihn mit einem jüngeren Kind nicht mehr allein lassen konnte. Dennoch war er seiner Mutter
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