Der stille Schrei der Toten
die Augen kaum offenhalten und bin wie gelähmt.«
Ich sah zur Tür. »Es ist Suze, Dottie. Sie ist der Mörder. Wir müssen dich und Harve von hier wegschaffen, bevor sie zurückkommt.«
Dottie versuchte mich anzusehen, und ich sagte leise: »Oh Gott, Dottie, ich bin so froh, dass es dir gut geht. Wir dachten, du bist tot. Wir haben die nächste Leiche gefunden, und dann tauchten deine Sachen auf, und wir haben alle geglaubt, das bist du. Ich bin so froh, Dottie.«
»Harve … Harve …«, sagte Dottie mit schwacher Stimme und versuchte, sich aufzusetzen.
Ich flüsterte weiterhin. »Harve ist okay, Dottie. Versuch bitte, mir zuzuhören. Weißt du, wo Suze hingegangen ist? Kommt sie heute Abend noch zurück?«
Dottie antwortete nicht, worauf ich sie heftig schüttelte. »Dottie, wach auf. Ich muss dich und Harve wegschaffen, ehe sie zurückkommt.«
Sie schlug die Augen auf und blinzelte. »Sie schläft im Keller. Geh da nicht allein runter …«
Daraufhin fiel sie erneut in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
Zwar hatte ich keine Kellertür gesehen, aber ich musste der Sache nachgehen. Ich ließ die beiden schlafend zurück und machte mich auf die Suche. Wenn sie tatsächlich im Keller war, könnte sie womöglich meine Schritte auf den alten, knarzenden Dielen im Erdgeschoss hören, weshalb ich nur mit der allergrößten Vorsicht einen Fuß vor den anderen setzte. Licht machte ich keins, sondern tastete mich an der Wand entlang. Schließlich fand ich die Kellertür. Sie war unterhalb der Treppe hinter einem Vorhang verborgen.
Ich öffnete die Tür. Eine schmale Treppe führte hinunter. Am unteren Ende der Treppe baumelte eine nackte Glühbirne von der Decke. Als ich hinunterging spürte ich die Kälte und zitterte in meinen durchnässten Kleidern.
Unten sah ich mich vorsichtig um. In der Mitte stand ein Gartentisch mit ein paar Klappstühlen, an der hinteren Wand eine kleine Gefriertruhe. Mein Blick fiel auf ein schmales Feldbett neben einer alten Kohlenrutsche. Suze lag schlafend unter einer rot-weißen Steppdecke auf der Seite und mit dem Gesicht zur Wand, aber an ihrer Frisur hätte ich sie überall und jederzeit erkannt. In der Situation war ich ihr gegenüber klar im Vorteil, und ich trat mit schnellen Schritten vor das Bett.
»Suze! Mach bloß keine Mätzchen oder du bist fällig! Ich schwöre es!«
Suze rührte sich kein bisschen und wachte auch nicht auf. Ich wunderte mich und zielte auf sie; gleichzeitig riss ich die Decke mit der linken Hand weg. Da entfuhr mir ein lauter Schrei. Samt der Decke flog Suzes abgeschlagener Kopf zu Boden und kullerte mir vor die Füße. Entsetzt sprang ich zurück und stieß dabei gegen die Glühbirne, sodass wild zuckende Schatten irre schwarz-weiße Muster an die Kellerwände warfen. Auf dem Bett war gar kein Körper, nur zusammengerollte Decken. Suze Eggers Kopf war auf der linken Wange liegen geblieben und starrte aus weit aufgerissenen Augen zu mir hoch.
Oh mein Gott, mein Gott, mein Gott …
30
Ich starrte auf den Kellerfußboden, wo Suze Eggers Kopf lag, und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Mein Gott, wenn Suze nicht der Mörder war, wer dann? Und wo war er? Ich musste Harve und Dottie aus diesem Haus schaffen. Ich rannte die Kellertreppe hinauf und fand die Tür verschlossen vor. Ich trat mit dem Fuß dagegen, zweimal, und als sie nachgab und ich in den Flur hinaustrat, hörte ich jemanden die Treppe hinauflaufen.
»Stehenbleiben oder ich schieße!«, rief ich und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben. Dort war alles still, und ich ging in das Zimmer, in dem ich Harve zurückgelassen hatte. Es brannte kein Licht, und ich streckte die Hand aus und knipste es an. Harve lag noch auf dem Bett, aber nun stand Dottie neben ihm.
Erleichtert rannte ich ans Bett. Dottie war wach und gehfähig. Sie konnte mir helfen, Harve zu tragen. »Komm, Dottie, wir müssen Harve hier rausschaffen. Der Mörder ist irgendwo im Haus.«
Ich rüttelte an Harves Schulter und hielt die Waffe weiter auf die Tür gerichtet. Meine Hände zitterten so stark, dass ich kaum die Waffe halten konnte. »Dottie, hilf mir, ihn vom Bett herunterzuziehen. Mach schon!« Als sie nicht antwortete, drehte ich mich nach ihr um und sah, wie sie das Hackmesser in einer Hand hochhielt. Noch ehe ich reagieren konnte, schlug sie meine Hand mit der Waffe zur Seite und hieb mit dem Beil auf meine linke Schulter ein. Ich schrie auf, als mich der Schlag am Schlüsselbein traf und die Klinge dort
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