Der stolze Orinoco
konnte aber noch flüchten, ehe ihn eine zweite erreichte, die ihn jedenfalls zu Boden gestreckt hätte.
Als Ersatz dafür konnten die Jäger Hirsche, Fluß-und Bisamschweine nach Belieben erlegen, um ihren Proviant zu vermehren. Was nicht frisch aufgezehrt wurde, ließ man dörren oder nach Indianermanier räuchern, um für den Rest der Fahrt hinreichenden Fleischvorrath zu haben.
Gelegentlich dehnten die Herren Miguel, Varinas und Felipe, in Gesellschaft Jacques Helloch’s und Germain Paterne’s, ihre Ausflüge auch weiter aus, so bis zu den noch auf dem Gebiete von Atures liegenden berühmten Grotten bei Punta Cerro, nach der Insel Cucuritale, die noch Spuren von der Anwesenheit des unglücklichen Doctor Crevaux aufweist, oder nach dem Cerro von Los Muertos, dessen Höhlen den Piaroa-Indianern als Begräbnißplätze dienen. Herr Miguel und seine Gefährten drangen sogar gegen zwölf Kilometer nach Südosten vor, um den Cerro Pintado zu besuchen. Dieser besteht aus einem zweihundertfünfzig Meter hohen Porphyrblocke, den die Indianer etwa in der Mitte mit riesenhaften Inschriften und mit Zeichnungen, die einen Scotopender (Tausendfuß), einen Menschen, einen großen Vogel und eine fast dreihundert Meter lange Schlange darstellen, gewiß in recht mühseliger Weise verziert haben.
Germain Paterne hätte gewiß lieber einige seltene Pflanzen am Fuße des »Bemalten Berges« – es sollte richtiger »Gravierten Berges« heißen – gesammelt, zu seinem großen Leidwesen blieb aber alles Suchen danach vergeblich.
Natürlich kehrten die Herren nach solchen langen Ausflügen in etwas erschöpftem Zustande zurück. Stets herrschte eine sehr starke Hitze, die auch von häufig auftretenden Gewitterstürmen nicht merklich gemildert wurde.
So verlief die Zeit im Dorfe Atures. Die beiden täglichen Mahlzeiten versammelten die ganze Gesellschaft an gemeinschaftlichem Tische, wo man einander die Erlebnisse des Tages erzählte. Jean interessierte sich lebhaft für die Jagdberichte Jacques Helloch’s, der sich immer bemühte, den jungen Mann von trüben Ahnungen bezüglich der Zukunft abzulenken. Und wie innig wünschte er, daß Jean in San-Fernando genaue Auskunft über den Oberst von Kermor erhielte und nicht gezwungen wäre, lange andauernden Abenteuern entgegenzugehen!
Die Fahrt über das Raudal von Maipures. (S. 166)
Am Abend las der junge Mann dann mit lauter Stimme einige Seiten aus seinem beliebten »Führer« vor, vorzüglich solche Stellen, die auf Atures und seine Umgebung Bezug hatten. Herr Miguel und seine Collegen erstaunten dabei nicht wenig über die Verläßlichkeit und bis ins Einzelne gehende Genauigkeit des französischen Forschers bezüglich des Laufes des Orinoco, der Sitten und Gebräuche der verschiedenen Indianerstämme, der Gestaltung ihrer Gebiete und der Lebensgewohnheiten der Ilaneros, mit denen er in Berührung gekommen war.
War Jean von Kermor wirklich genöthigt, seinen Zug bis zu den Quellen des Stromes auszudehnen, so konnte er aus den gewissenhaften Schilderungen seines Landsmannes sicherlich den größten Nutzen ziehen.
Gegen Mittag am 9. September endlich kam Germain Paterne, der ans Ufer botanisieren gegangen war, seine Begleiter anrufend, zurück.
Da für diesen Tag kein Ausflug geplant war, befanden sich Alle, auf die Mittagsmahlzeit wartend, in der größten Strohhütte des Dorfes.
Als Jacques Helloch die Rufe vernahm, stürmte er sofort hinaus. Die Andern folgten ihm, da es ja möglich war, daß Germain Paterne Hilfe begehrte, ob er nun von einem Raubthiere angefallen worden oder in der Nachbarschaft von Atures mit einer Bande Quivas zusammengestoßen war.
Germain Paterne kam, die Botanisierbüchse auf dem Rücken, allein zurück und machte lebhafte Bewegungen mit den Armen.
»He, was ist denn geschehen? rief Jacques Helloch ihm zu.
– Unsre Piroguen sind in Sicht!
– Unsre Piroguen?… antwortete Herr Miguel zweifelnd.
– Schon jetzt? fragte Felipe.
– Sie sind kaum noch einen halben Kilometer entfernt.«
Spornstreichs liefen Alle nach dem linken Ufer hinunter, und bei einer Biegung desselben bemerkten sie die Falcas, die von den Mannschaften mittelst der Estrilla längs des Wasserrandes hin geschleppt wurden. Bald konnten die Passagiere mit den Schiffern sich verständigen, die auf dem Hintertheile stehend, die Fahrzeuge gegen die Abweichung durch den Zug der Leine in ihrer gewünschten Richtung hielten.
»Sie… Valdez! fragte der Sergeant Martial.
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