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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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denn?“
    „Ich weiß es nicht. Aber ich beobachte die Menschen seit zwanzig Jahren, und ich habe die Veränderung gesehen. Früher eilten sie hier durch, und es war ein großartiger Anblick. Menschen, die es eilig hatten, die wussten, wohin sie wollten, und es nicht erwarten konnten, dort hinzukommen. Heute eilen sie, weil sie Angst haben. Kein Ziel treibt sie an, sondern Angst. Sie gehen nicht irgendwohin, sie laufen weg. Und ich glaube nicht, dass sie wissen, wovor sie weglaufen wollen. Sie sehen sich gegenseitig nicht an. Wenn sie jemand berührt, zucken sie zusammen. Sie lächeln zu viel, aber dieses Lächeln ist hässlich, es drückt keine Freude aus, nur Flehen. Ich weiß nicht, was es ist, das mit der Welt geschieht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Tja … wer ist John Galt?“
    „Er ist nur ein sinnloser Ausdruck!“
    Sie schreckte vor der Schärfe in ihrer eigenen Stimme zurück und fügte entschuldigend hinzu: „Mit gefällt diese leere Redensart nicht. Was hat sie zu bedeuten? Woher kommt sie überhaupt?“
    „Das weiß niemand“, antwortete er langsam.
    „Warum sagen es die Leute dann dauernd? Niemand scheint in der Lage zu sein zu erklären, wofür dieser Ausdruck steht, und doch verwenden ihn alle, als würden sie die Bedeutung kennen.“
    „Warum stört Sie das?“, fragte er.
    „Mir gefällt nicht, was die Leute anscheinend meinen, wenn sie es sagen.“
    „Mir auch nicht, Miss Taggart.“
    *
    Eddie Willers nahm sein Abendessen immer in der Mitarbeiterkantine des Taggart Terminals ein. Es gab auch ein Restaurant im Bürogebäude, das die leitenden Angestellten von Taggart regelmäßig besuchten, aber er mochte es nicht. Die Kantine erschien ihm als Teil der Eisenbahn, und er fühlte sich dort wohler.
    Die Kantine lag im Keller des Gebäudes. Sie war ein weitläufiger Raum, dessen weiße, geflieste Wände im Licht der elektrischen Lampen glänzten und wie Silberbrokat aussahen. Der Raum hatte eine hohe Decke, glänzende Vitrinen aus Glas und Chrom standen darin, und er wirkte weiträumig und hell.
    Manchmal traf Eddie Willers in der Kantine einen Bahnarbeiter. Er mochte ihn. Sie waren einmal zufällig ins Gespräch gekommen, und seitdem hatten sie es sich zur Gewohnheit gemacht, miteinander zu essen, sooft sie sich über den Weg liefen.
    Eddie konnte sich nicht erinnern, ob er den Arbeiter je nach seinem Namen oder nach der Art seiner Beschäftigung gefragt hatte, aber er nahm an, dass es keine besonders gute Position war, denn seine Kleidung war zerschlissenen und ölverschmiert. Für ihn war dieser Mann keine Person, sondern nur ein schweigsames Gegenüber mit einem immensen Interesse an dieser einen Sache, die auch sein Lebensinhalt war: Taggart Transcontinental.
    An diesem Abend war Eddie spät dran, und er sah den Arbeiter schon an einem Tisch in einer Ecke des halb leeren Raumes sitzen. Eddie lächelte froh, winkte ihm zu und trug das Tablett mit seinem Essen zu dem Tisch des Arbeiters hinüber.
    In der Abgeschiedenheit dieser Ecke fühlte sich Eddie wohl und erholte sich von den Anstrengungen des Tages. Hier konnte er reden wie nirgends sonst, gestand Dinge ein, die er sonst niemandem anvertraut hätte, und dachte laut nach, während er in die aufmerksamen Augen des Arbeiters auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches schaute.
    „Die Rio-Norte-Linie ist unsere letzte Hoffnung“, sagte Eddie Willers. „Aber sie wird uns retten. Wir werden wenigstens eine Strecke haben, die gut in Schuss ist, dort, wo sie am meisten gebraucht wird. Und das wird uns helfen, den Rest zu retten. … Es ist seltsam, oder? Über die letzte Chance von Taggart Transcontinental zu sprechen. Würden Sie es ernst nehmen, wenn jemand Ihnen sagen würde, dass ein Meteor die Erde zerstören wird? … Ich auch nicht. … ‚Von Ozean zu Ozean, für immer‘ – wie oft haben wir das in unserer Kindheit gehört, sie und ich. Nein, sie sagten nicht ‚für immer‘, aber das haben sie gemeint. … Wissen Sie, ich bin ganz bestimmt kein großer Mann. Ich hätte diese Eisenbahn nicht bauen können. Wenn sie untergeht, kann ich sie nicht retten. Ich werde mit ihr untergehen. … Hören Sie nicht auf mich. Ich weiß nicht, warum ich solche Dinge überhaupt sage. Wahrscheinlich bin ich heute nur etwas müde. … Ja, ich habe länger gearbeitet. Sie hat mich nicht darum gebeten zu bleiben, aber ich habe Licht unter ihrer Tür gesehen, lange nachdem alle anderen gegangen waren. … Ja, sie ist jetzt auch nach Hause

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