Der Streik
ich solche Sachen?, dachte er und rief sich die letzte Nacht ins Gedächtnis. Aber es war ihm zu anstrengend, nach einer Antwort zu suchen.
Betty Pope kam mit einem Satinnegligé in orange-rotem Harlekinkaro bekleidet ins Wohnzimmer. Wie furchtbar sie im Negligé aussah, dachte Taggart. Der Reiterdress, in dem sie für die Gesellschaftsseiten der Zeitungen posiert hatte, stand ihr um ein Vielfaches besser. Sie war ein hochgeschossenes Mädchen, knochig und mit schlaksigen Gelenken, die sich alles andere als elegant bewegten. Sie hatte ein unscheinbares Gesicht mit einem schlechten Teint und einem unverschämten, herablassenden Blick, der daher rührte, dass sie aus einer der besten Familien des Landes stammte.
„Oh, verdammt!“, sagte sie vor sich hin, während sie ihren Körper dehnte. „Jim, wo ist dein Nagelknipser? Ich muss mir die Fußnägel schneiden.“
„Ich weiß nicht. Ich habe Kopfschmerzen. Mach das doch zu Hause.“
„Du siehst unappetitlich aus am Morgen“, sagte sie gleichgültig. „Du siehst aus wie eine Schnecke.“
„Warum hältst du nicht einfach den Mund?“
Sie ging ziellos im Raum umher. „Ich möchte noch nicht nach Hause gehen“, sagte sie lustlos. „Ich hasse den Morgen. Schon wieder ein neuer Tag und nichts zu tun. Heute Nachmittag gehe ich zum Tee bei Liz Blane. Das könnte recht lustig werden, Liz ist ein Luder.“ Sie griff nach einem Glas und trank den abgestandenen Rest eines Drinks aus. „Warum lässt du deine Klimaanlage nicht reparieren? Hier stinkt’s.“
„Bist du fertig im Badezimmer?“, fragte er. „Ich muss mich anziehen. Ich habe heute einen wichtigen Termin.“
„Geh nur hinein, du störst mich nicht. Wir teilen uns das Bad. Ich hasse es, gehetzt zu werden.“
Während er sich rasierte, sah er, wie sie sich vor der geöffneten Badezimmertür ankleidete. Sie brauchte lange, bis sie sich in ihren Hüfthalter gezwängt, ihre Strümpfe an den Strumpfhaltern befestigt und ein derbes, teures Tweedkostüm angezogen hatte. Das karierte Negligé, das sie auf eine Anzeige in einem der feinsten Modemagazine hin erstanden hatte, war wie eine Uniform, von der sie wusste, dass sie zu bestimmten Gelegenheiten von ihr erwartet wurde, und die sie pflichtbewusst zu einem gewissen Zweck trug und dann wieder beiseitelegte.
Mit ihrer Beziehung verhielt es sich genauso. In ihr gab es keine Leidenschaft, kein Verlangen, kein eigentliches Vergnügen, noch nicht einmal Schamgefühl. Für beide bedeutete der Akt des Geschlechtsverkehrs weder Freude noch Sünde. Er bedeutete gar nichts. Aber sie hatten gehört, dass Männer und Frauen nun einmal miteinander schliefen, und so taten sie es.
„Jim, warum führst du mich heute Abend nicht ins armenische Restaurant aus?“, fragte sie. „Ich liebe Schisch Kebab.“
„Ich kann nicht“, antwortete er ärgerlich durch den Seifenschaum in seinem Gesicht. „Ich habe heute einen anstrengenden Tag.“
„Warum sagst du es nicht ab?“
„Was?“
„Was auch immer es ist.“
„Es ist aber sehr wichtig, meine Liebe. Heute trifft sich der Verwaltungsrat.“
„Ach, komm schon, sei nicht so spießig mit deiner blöden Eisenbahn. Das ist langweilig. Ich hasse Geschäftsmänner. Sie sind öde.“
Er sagte nichts darauf.
Sie sah ihn verschlagen an, und ihre Stimme wurde etwas lebhafter, als sie gedehnt hinzufügte: „Jock Benson hat gesagt, dass du bei der Eisenbahn eine ruhige Kugel schiebst, weil ohnehin deine Schwester das Unternehmen am Laufen hält.“
„Ach ja, hat er das gesagt?“
„Ich finde deine Schwester schrecklich. Das ist doch abstoßend – eine Frau, die sich benimmt wie ein Mechaniker und sich aufspielt wie der große Boss. Das ist so unweiblich. Was glaubt sie denn, wer sie ist?“
Taggart trat auf die Schwelle. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und musterte Betty Pope. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, sarkastisch und selbstsicher. Sie hatten doch etwas, das sie verband, dachte er.
„Es wird dich vielleicht interessieren, meine Liebe“, sagte er, „dass ich meiner Schwester heute Nachmittag einen Strich durch die Rechnung machen werde.“
„Nein!“, sagte sie interessiert. „Wirklich?“
„Das ist ja der Grund, warum diese Verwaltungsratssitzung so wichtig ist.“
„Wirst du sie wirklich hinausschmeißen?“
„Nein, das ist weder erforderlich noch ratsam. Ich werde sie vielmehr auf ihren Platz verweisen. Jetzt habe ich die Chance, auf die ich gewartet habe.“
„Hast du
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