Der Streik
wenn es darum ging, blindes Stillschweigen zu wahren und vorzugeben, man wüsste nicht, was man doch wusste, und bemühte sich zu glauben, das Unausgesprochene sei unwirklich. Es war, als weigerten sich Menschen am Fuß eines ausbrechenden Vulkans, die plötzlichen Risse, den schwarzen Rauch und die brodelnden Rinnsale zu sehen, als glaubten sie beharrlich, ihre einzige Gefahr bestünde im Anerkennen der Wirklichkeit dieser Erscheinungen.
„Hören Sie am 22. November Mr. Thompsons Bericht zur globalen Krise!“
Zum ersten Mal wurde das Schweigen gebrochen. Die Rede wurde eine Woche im Voraus landesweit angekündigt. „Mr. Thompson wird dem Volk Bericht zur globalen Krise erstatten! Hören Sie seine Rede! Sie wird am 22. November um 20 Uhr auf jedem Radio- und Fernsehsender ausgestrahlt.“
Der Hintergrund zur Rede wurde zunächst auf den Titelseiten der Zeitungen und im Radio erläutert: „Um den von den Volksfeinden verbreiteten Ängsten und Gerüchten entgegenzuwirken, wird Mr. Thompson sich am 22. November in einer Rede an die Nation wenden. Darin wird er ausführlich Bericht erstatten zur Lage der Welt in dieser düsteren Zeit globaler Krise. Mr. Thompson wird den unheilvollen Mächten, deren Absicht es ist, uns in Schrecken und Verzweiflung zu halten, ein Ende bereiten. Er wird Licht ins Dunkel der Welt bringen und uns den Ausweg aus unseren schwerwiegenden Problemen aufzeigen – ein schmerzlicher Weg, wie es der Ernst dieser Stunde gebietet, aber auch ein ruhmreicher, weil er ins Licht zurückführt. Die Rede von Mr. Thompson wird nicht nur landesweit, sondern weltweit auf jedem Radiosender ausgestrahlt, wo auch immer noch Radiowellen empfangen werden können.“
Die Meldungen stimmten einen Chor von Ankündigungen an, der von Tag zu Tag anschwoll. „Hören Sie Thompson am 22. November!“, titelten die Zeitungen. „Denken Sie am 22. November an Mr. Thompson!“, riefen Radiosprecher im Anschluss an jede Sendung. „Mr. Thompson wird Ihnen die Wahrheit sagen!“, versprachen Plakate in Untergrundbahnen und Bussen, dann Poster auf Hauswänden und schließlich Reklametafeln auf verlassenen Schnellstraßen.
„Verzagen Sie nicht! Hören Sie Mr. Thompson!“, las man auf Wimpeln an Regierungsfahrzeugen. „Geben Sie nicht auf! Hören Sie Mr. Thompson!“, stand auf Transparenten in Büros und Geschäften. „Seid zuversichtlich! Hört Mr. Thompson!“, tönte es von den Kanzeln in den Kirchen. „Mr. Thompson gibt Ihnen die Antwort!“, schrieben Militärflugzeuge in den Himmel, doch noch während des Schreibens lösten sich die Buchstaben auf, und als der Satz zu Ende geschrieben war, waren nur die letzten beiden Worte noch zu sehen.
Auf den öffentlichen Plätzen in New York wurden Lautsprecher installiert, um die Rede zu übertragen. Stündlich erwachten sie mit einem Krächzen zum Leben, wenn in der Ferne die Uhren schlugen, um über den Köpfen der ärmlichen Menschenansammlungen das müde Rattern des Verkehrs mit einem sonoren, mechanischen Ruf zu übertönen, der aufgeregt mahnte: „Hören Sie den Thompson-Bericht zur globalen Krise am 22. November!“ – ein Ruf, der durch die eisige Luft gellte und inmitten der nebligen Dächer unter einem leeren Kalenderblatt, auf dem kein Datum angezeigt war, verhallte.
Am Nachmittag des 22. November teilte James Taggart Dagny mit, dass Mr. Thompson sie zu einer Konferenz geladen habe, die noch vor der Übertragung stattfinden sollte.
„In Washington?“, fragte sie ungläubig und schaute dabei auf ihre Armbanduhr.
„Ich muss schon sagen, du hast offenbar weder die Zeitung gelesen noch dich anderweitig über wichtige Ereignisse informiert. Weißt du nicht, dass Mr. Thompson seine Rede in New York halten wird? Er ist hierher gekommen, um sich mit Führungskräften aus der Industrie, der Arbeiterschaft, der Wissenschaft, den freien Berufen und sonstigen führenden Köpfen des Landes zu treffen. Er hat mich gebeten, dich zur Konferenz mitzubringen.“
„Wo soll sie stattfinden?“
„Im Rundfunkstudio.“
„Sie erwarten doch nicht etwa von mir, dass ich im Rundfunk ihre Politik gutheiße?“
„Keine Sorge, dich wird man nicht einmal in die Nähe eines Mikrofons lassen! Man will nur deine Meinung einholen, und ablehnen kannst du nicht, da wir uns im nationalen Notstand befinden und Mr. Thompson dich persönlich eingeladen hat!“ Er sprach ungeduldig und vermied ihren Blick.
„Wann soll die Konferenz stattfinden?“
„Um halb acht.“
„Das
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